In der nordostsyrischen Metropole Qamişlo sind am Montag tausende Frauen auf die Straße gegangen, um Gerechtigkeit für die von der iranischen Sittenpolizei ermordete Jina Mahsa Amini zu fordern und ihre Verbundenheit mit den kämpfenden Frauen in Ostkurdistan und Iran zu demonstrieren. „Soza me tolhildan e, qirkirina jinan hovîtî“ – zu Deutsch etwa „Femizid ist Mord, Vergeltung heißt unser Wort“ lautete das Motto des Protests, das auch auf dem Fronttransparent zu lesen war. Auf vielen Plakaten blickte das Konterfei der ermordeten Kurdin Jina Mahsa Amini auf die Menge, inmitten eines Fahnenmeeres aus Flaggen kurdischer Frauenorganisationen wie dem Verband Kongra Star und den Frauenverteidigungseinheiten YPJ. Zu sehen waren auch Bilder von Hadis Najafi und anderer Frauen, die bei Protesten infolge des Todes der 22-jährigen Jina Mahsa Amini von iranischen Sicherheitskräften getötet wurden.
Die Frauen trafen sich im Stadtzentrum von Qamişlo und strömten bis vor das Kulturzentrum „Mihemed Şêxo“. Immer wieder fiel die Losung „Jin, Jiyan, Azadî“ (Frauen, Leben, Freiheit), mit der auch der Volksaufstand in Ostkurdistan und Iran angeführt wird. Verschiedene Rednerinnen machten klar, dass es sich bei der Tötung von Jina Mahsa Amini um einen staatlichen Femizid handelte, und begrüßten die „Revolte“ ihrer Schwestern, Freundinnen, Weggefährtinnen. „Wir sind hier, um den Frauen in Rojhilat und Iran zu sagen: Ihr seid nicht allein, wir stehen euch bei. Euer Kampf ist unser Kampf“, sagte etwa Dilşa Şawiş, die sich inmitten der Demonstration ihre Haare abschnitt. Dass das Regime die Proteste mit massiver Gewalt zu unterdrücken versuche, sei ein Zeichen der „großen Angst vor den Frauen“, hieß es weiter.
Mord offenbarte misogyne und patriarchale Mentalität des Regimes
„Der Mord an Jina ist ein barbarischer Akt des iranischen Mullah-Regimes, der den schändlichen Charakter jener misogynen und patriarchalen Mentalität offenbart hat, gegen den wir Frauen überall dort, wo man uns unterdrücken will, Widerstand leisten“, sagte die Demonstrantin Eyhan Murad. Sie trage Hoffnung, dass Ostkurdistan und Iran eine Frauenrevolution gelingt, die den Niedergang des herrschenden Klerus und des frauenverachtenden Systems der Islamischen Republik besiegelt. „Die Völker in Rojhilat und Iran leiden seit mehr als vier Jahrzehnten unter der unrechtmäßigen Herrschaft des totalitären und autoritären Regimes der Mullahs und unter dem Mangel an den grundlegendsten Menschenrechten. In erster Linie betrifft die brutale Unterdrückung die Frauen“, betonte Murad. „Wir fordern alle Frauen der Welt auf, solidarisch mit unseren kämpfenden Schwestern zu sein und sich für ihr Leben und ihre Freiheit einzusetzen.“
IHR: Bisher mindestens 54 Todesopfer unter Demonstrierenden
Das iranische Regime geht mit purer Gewalt gegen die landesweiten Proteste vor, die inzwischen den zehnten Tag in Folge andauern. Nach Angaben von Iran Human Rights (IHR) in Oslo sind bisher mindestens 54 Demonstrierende von staatlichen Kräften ermordet worden (Stand 24. September). Nahezu alle Opfer wurden durch scharfe Munition getötet. Die Zahl der Verletzten bleibt indes weiter unklar, Menschenrechtsorganisationen gehen von mehreren tausend aus. Viele Betroffene fürchteten sich, in ein Krankenhaus zu gehen, da ihnen dort Polizei und Armee auflauern könnten. In zahlreichen Kliniken haben sich Regimetruppen regelrecht verschanzt, um Angehörige der Protestbewegung aus dem Krankenhaus heraus in Polizeihaft zu verschleppen.
Zahl der Festnahmen unklar
Auch ist nicht bekannt, wie viele Menschen verhaftet worden sind. Der iranische Staatssender IRIB gab am Sonntag ab, dass über 1.000 Menschen inhaftiert wurden. Die tatsächlichen Zahlen dürften allerdings weit darüber liegen. Seit Tagen finden landesweit gezielte Festnahmen iranischer Sicherheits- und Polizeikräfte statt. Unter den Verhafteten befinden sich hunderte Aktivist:innen zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie Journalist:innen und Rechtsanwält:innen. In vielen Fällen werden Angaben zu ihrem Aufenthaltsort von den Behörden verweigert. Das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) mit Sitz in New York gab am Montag eine Liste mit den Namen von 18 Medienschaffenden heraus, die aufgrund ihrer Berichtersattung zu den Protesten inhaftiert worden sind.