Die Europäische Union hat das brutale Vorgehen des iranischen Regimes gegen die regierungskritischen Proteste verurteilt. „Für die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten ist der weit verbreitete und unverhältnismäßige Einsatz von Gewalt gegen gewaltlose Demonstrierende nicht zu rechtfertigen und nicht hinnehmbar“, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Zugleich drohte die EU vage mit möglichen Sanktionen gegen Iran. Die EU werde vor dem nächsten Außenministertreffen „alle ihr zur Verfügung stehenden Optionen prüfen, um auf die Ermordung von Mahsa Amini und die Art und Weise, wie die iranischen Sicherheitskräfte auf die anschließenden Demonstrationen reagiert haben, zu reagieren.“
In Iran und Rojhilat sind am Sonntag wieder tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen das patriarchale Herrschaftssystem und die systematische Diskriminierung von Frauen zu demonstrieren. Seit neun Tagen dauert der Volksaufstand inzwischen an, der durch den Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini ausgelöst wurde. Die Kurdin war am 13. September in der iranischen Hauptstadt Teheran festgenommen worden, weil sie ihren Schleier nicht den strikten Vorschriften entsprechend getragen haben soll. Auf einem Revier wurde sie von der „Moralpolizei“ zu Tode geprügelt.
Die Menschen hätten das Recht auf friedlichen Protest, hieß es weiter in der Erklärung der EU. Man erwarte, dass Iran die gewaltsame Niederschlagung der Proteste unverzüglich einstelle. Auch der Zugang zum Internet müsse gewährleistet werden. Das iranische Regime hatte in den vergangenen Tagen vielerorts den Zugang zum Internet eingeschränkt – zunächst in den kurdischen Gebieten, dann auch in anderen Teilen des Landes.
Die EU-Erklärung verwies auch auf eine zunehmende Zahl an Berichten, die darauf hindeuteten, dass die iranischen Sicherheits- und Polizeikräfte unverhältnismäßig auf die Demonstrationen reagierten. Die EU forderte, dass der Iran die Zahl der Toten und Verhafteten klären, alle gewaltlosen Demonstrierenden freilassen sowie den Inhaftierten ein ordnungsgemäßes Verfahren gewähren müsse. Der Tod von Amini müsse untersucht und die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden.
IHR: Bisher mindestens 54 Todesopfer unter Demonstrierenden
Nach Angaben von Iran Human Rights (IHR) in Oslo sind bei den Protesten in Rojhilat und Iran mindestens 54 Demonstrierende ums Leben gekommen. Nahezu alle Opfer wurden durch scharfe Munition getötet. Die Zahl der Verletzten bleibt indes weiter unklar, Menschenrechtsorganisationen gehen mittlerweile von mehreren tausend aus. Viele fürchteten sich, in ein Krankenhaus zu gehen, da ihnen dort Polizei und Armee auflauern könnte. In zahlreichen Kliniken haben sich die Kräfte des Regimes regelrecht verschanzt, um Angehörige der Protestbewegung zu verschleppen.
Zahl der Festnahmen unklar
Auch ist nicht bekannt, wie viele Menschen verhaftet worden sind. Der iranische Staatssender IRIB gab am Sonntag ab, dass über 1.000 Menschen inhaftiert wurden. Die tatsächlichen Zahlen dürften allerdings weit darüber liegen. Seit Tagen finden landesweit gezielte Festnahmen iranischer Sicherheits- und Polizeikräfte statt. Unter den Verhafteten befinden sich hunderte Aktivist:innen zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie Journalist:innen und Rechtsanwält:innen. In vielen Fällen werden Angaben zu ihrem Aufenthaltsort von den Behörden verweigert.