Nürnberg: Wenn Frauen streiken, steht die Welt still

Die Initiative „Feministischer Streik Nürnberg“ organisiert zum Frauenkampftag am 8. März ein Streikzelt in der Nürnberger Innenstadt und lädt ein zu kreativen Aktionen rund um den Frauenstreik.

Die Initiative „Feministischer Streik Nürnberg“ baute am zentralen Platz vor der Lorenzkirche in der Nürnberger Innenstadt ein Streikzelt auf und startete heute mit einer Pressekonferenz. Dabei erklärten die Initiatorinnen zunächst, worum es bei diesem Streik geht:

„Wir wollen keinen althergebrachten Arbeitskampf führen, der sich allein auf die Lohnarbeit bezieht. Wir wollen die gemeinhin unsichtbare Arbeit der Frauen, das Sich-Kümmern um andere, also die Care-Arbeit, sichtbar machen, indem wir sie bestreiken. Sorge-Arbeit ist zum Beispiel Kinderbetreuung, Alten- oder Krankenpflege, aber auch Haushaltsarbeit wie Putzen, Wäsche waschen, Kochen, Aufräumen etc. Ebenfalls dazu gehören Hilfe und emotionale Fürsorge für Freund*innen und Angehörige. Jede Art der Beziehungsarbeit ist auch Sorge-Arbeit. Wir wollen in die öffentliche Debatte eingreifen und deutlich machen, welche Arbeit wir jeden Tag leisten und welchen Mehrfachbelastungen wir ausgesetzt sind.“

Care-Arbeit: die unsichtbare Seite der kapitalistischen Ökonomie

Manchmal wird Care-Arbeit – in der Regel schlecht – bezahlt, zum Beispiel in sozialpädagogischen Berufen oder in der Pflege. In den meisten Fällen jedoch wird sie als unentlohnte Arbeit in der eigenen Familie oder im sozialen Umfeld überwiegend von Frauen übernommen. Sie bleibt damit im Privaten, wird gesellschaftlich nicht anerkannt und bleibt unsichtbar. Care-Arbeit bringt keinen unmittelbaren Profit und ist damit in der kapitalistischen Logik nicht so viel wert ist wie entlohnte Arbeit, wenngleich ohne Care-Arbeit das System zusammenbrechen würde.

Das bisschen Haushalt macht sich von allein?

Frauen haben mittlerweile in Deutschland Chancen auf Bildung, können Geld verdienen und manchmal auch Karriere machen. Von Frauen wird in der kapitalistischen Moderne erwartet, dass sie einer Lohnarbeit nachgehen. Trotzdem sollen sie weiterhin die Kindererziehung und den Haushalt stemmen – und dabei auch noch schön aussehen. Jede Frau spürt diese Mehrfachbelastung. Migrantische und geflüchtete Frauen haben oft nur die Möglichkeit, Pflege- oder Putzjobs mit miesesten Arbeitsbedingungen anzunehmen. Sie erledigen dann oft die Care-Arbeit für Menschen mit mehr Privilegien und sind das schwächste Glied in der Kette der patriarchal-kapitalistischen Ausbeutung.

Streik am Sonntag?

Gefragt, warum auch am Sonntag gestreikt wird, antworten die Frauen vom Streik-Komitee: „Bestreikt wird die Sorge-Arbeit, die niemals endet. Kinder sind auch am Wochenende zu versorgen und der Haushalt macht sich sonntags nicht von allein. Kranke sind rund um die Uhr krank und die Freundin hat auch am Sonntag Tränen in den Augen und will getröstet werden. Der Irrglaube, nur Lohnarbeit könne bestreikt werden, macht deutlich, wie gering Care-Arbeit geschätzt wird.“

Die Initiatorinnen des Frauenstreiks sind eingebunden in das Netzwerk „Care Revolution” - ein Zusammenschluss von über 80 Gruppen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die in verschiedenen Feldern sozialer Reproduktion tätig sind. Sie fordern einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel, eine Umverteilung und die Wertschätzung von Care-Arbeit. Langfristig werden neue Modelle von Sorge-Beziehungen und eine Care-Ökonomie angestrebt, die nicht Profitmaximierung, sondern die Bedürfnisse der Menschen ins Zentrum stellt. Eine der Protagonistinnen dieser Bewegung ist Gabriele Winker, die mit ihrem Buch „Care Revolution – Schritte in eine solidarische Gesellschaft“ Schritte aufzeigt in eine solidarische Gesellschaft, in der es um menschliche Bedürfnisse und die Sorge umeinander geht. Ziel ist eine Welt, in der sich Menschen nicht mehr als Konkurrent*innen gegenüberstehen, sondern ihr je individuelles Leben gemeinschaftlich gestalten.

„Wenn wir streiken, steht die Welt still“

Durch die Verweigerung verschiedener Formen von Sorge-Arbeit kann nach Ansicht des Streikkomitees eine breite Öffentlichkeit für feministische Themen geschaffen werden. Mittlerweile gibt es in vielen Ländern Bewegungen streikender Frauen: von Polen bis Argentinien, von New York bis Hongkong, von Spanien über Nigeria bis Australien. Deutschlandweit gibt es ca. 40 Ortsgruppen, die am Frauenkampftag zum feministischen Streik aufrufen. Die Bewegung knüpft an historische Frauenstreiks an und ist dabei, sich international zu vernetzen.

Rund um das Nürnberger Streikzelt finden bis zum Frauenkampftag am Sonntag durchgehend Workshops, Vorträge, Musik, eine Nachttanz-Demo und kreative Aktionen statt. Zum Beispiel wurden schon Denkmäler und Brunnen mit Gegenständen geschmückt, die an Haus- und Sorge-Arbeit erinnern. Was normalerweise im Privaten bleibt, wird in die Öffentlichkeit getragen: Putzlappen, Wischmopps, Klobürsten, Babyflaschen, Windeln, Schürzen. Mit Plakaten und Flugblättern wird über die Ziele des Streiks informiert und zur Diskussion am Streikzelt eingeladen. Das Streikzelt ist durchgehend besetzt bis zur zentralen Demonstration am 8. März.

Da selbstverständlich auch während des Streiks die Sorge- und Reproduktionsarbeit weitergehen muss, übernehmen in Nürnberg solidarische Männer die Zubereitung des (gemeinsamen) Essens und die Kinderbetreuung.