Die Bewohnerinnen des Frauendorfes Jinwar in Rojava berichten in einem neuen Newsletter über die Geschehnisse in den vergangenen drei Monaten: „Wir möchten euch einen kleinen Überblick über den Frühling geben, den wir mit viel neuer Energie hier verbrachten, und hoffen, dass ihr somit auch ein bisschen Teil davon werden könnt und die Frühlingssonne auch bei euch ankommt.“
Jinwar liegt westlich von Dirbêsiyê in Nordsyrien
Das Dorf Jinwar wurde am 10. März 2017 gegründet und am 25. November 2018 fertiggestellt. In dem von Frauen aufgebauten Dorf wurden eine ökologische Wirtschaft, Frauensolidarität und ein gemeinsames und freies Leben entwickelt.
Neue Phase des heißen Krieges
Zur aktuellen Situation teilen die Jinwar-Bewohnerinnen mit: „Seit dem 17. April 2022 befinden wir uns hier vor Ort wieder in einer heißen Kriegsphase. Das heißt, die Angriffe der türkischen Besatzungsmacht nehmen sowohl in den Medya-Verteidigungsgebieten als auch in Şengal und in Rojava zu. Dies bedeutet für uns, dass wir uns genau in solchen Phasen nochmal stärker in eine Selbstverteidigungsposition begeben und dabei nimmt vor allem die ideologische Selbstverteidigung und der Aufbau der gesellschaftlichen Selbstverwaltungsstrukturen eine wichtige Rolle ein.
Felder bestellen in Jinwar
Das Frauen- und Kinderdorf Jinwar ist Teil der praktischen Umsetzung der Ideen eines freien und gleichberechtigten Lebens. Das heißt, hier findet auch die größte Auseinandersetzung statt. Wenn du dich gleichzeitig im Krieg befindest, dir umso klarer wirst, welche Werte es zu verteidigen gilt und wie wir im gleichen Atemzug die Erde bestellen und Samen säen, Bewässerungskanäle bauen, damit die Pflanzen wachsen und gedeihen können, dann wird dir bewusst, wie vielschichtig Verteidigung aussehen kann.“
Kollektives und selbstbestimmtes Leben in Langzeitperspektive
Weiter heißt es in den Newsletter: „Es geht in Jinwar darum, für Frauen und ihre Kinder ein kollektives und selbstbestimmtes Leben über vier Jahreszeiten hinweg in Langzeitperspektive möglich zu machen. Womit beschäftigten wir uns also die letzten drei Monate hauptsächlich? Die Erde wurde neu umgegraben, Rosensträucher geschnitten, viele neue Bäume gepflanzt, Gärten angelegt, Wasserkanäle gegraben, Setzlinge gezogen und abends wurden die Nachrichten verfolgt, Bücher gelesen und manchmal gemeinsam Filme geschaut. Dieser Ausgleich von geistiger und körperlicher Tätigkeit ist die Würze des ausgewogenen Dorflebens und zeugt von der Verbundenheit, sich gleichzeitig im Kampf und im Aufbau zu befinden.
Anhaltende Trockenheit: Frauen legen Bewässerungssysteme an
In den Monaten März und April gab es große Feierlichkeiten, zum einen der 8. März, der von den Frauen hier gemeinsam begangen wurde und ein politisches Signal sendet, überall auf der Welt viele Jinwar´s zu gründen, die eigene Erde zu beschützen, sich mit einem freien Denken, einem organisierten und kollektiven Alltag in ethischer und ästhetischer Weise zusammenzufinden, um ein ökologisches Leben zu führen und sich politisch für ein Leben in Würde und Freiheit für jede Frau auf der Welt einzusetzen. Eine ähnliche Bedeutung von Widerstand und Neubeginn hat das Newroz-Fest hier am 21. März. Wir feierten es mit einem kulturellen Programm und mit einem gemeinsamen Feuer, um das getanzt und gesungen wurde.
Bäume pflanzen zum Geburtstag von Abdullah Öcalan
Zum Geburtstag von Abdullah Öcalan am 4. April haben wir 100 neue Bäume im Dorf gepflanzt. Für das ezidische Neujahrsfest (çarşema sor – roter Mittwoch) sind wir gemeinsam mit den ezidischen Müttern und Kindern aus Jinwar zu einer Feierlichkeit in einem ezidischen Dorf gefahren und haben dort erlebt, was dieses Fest als uralte Tradition bedeutet. Die Ezidinnen und Eziden begehen ihr Neujahrsfest über drei Tage hinweg. Es beginnt am Vorabend des çarşema sor mit dem Bemalen von Eiern und der Herstellung eines bestimmten Brotes.
In Jinwar wird mit Ölöfen geheizt
Die Sommerwärme ist hier direkt nach dem Neujahrsfest durchgedrungen, wir haben alle Ölofen („Soba“) aus den Häusern entfernt, alle Teppiche, Sitzpolster und Decken fleißig gewaschen und die Lehmbauhäuser für den doch sehr heißen Sommer hier vorbereitet. Zum Glück halten die Lehmbauziegel die Wärme im Sommer ab und der Boden ist kühl und spendet zumindest im Mai noch eine angenehme kühle Luft.
Gänse in Jinwar
Auch die Tiere haben sich auf den Frühling gefreut und sich vermehrt, es gibt jetzt in Jinwar fünf junge Gänse, drei kleine Hundewelpen, neu geborene Kätzchen und hoffentlich bald frisch geschlüpfte Küken. Mit dem Regen hat es leider nicht so gut in die Phase der Aussaat gepasst. In der Zeit, in der die Felder bestellt werden mussten, kam kein Regen. Daher wurden mit viel Mühe neue Bewässerungssysteme gebaut und Kanäle gegraben, aber dann kam die erste Hitzewelle viel zu früh und hat einige Felder im Umland Jinwars so ausgetrocknet, dass es dieses Jahr wohl nur eine kleine Ernte geben wird.
Jinwar hat eine eigene Bäckerei
Unser Mehl für das Dorf-eigene Brot wird nun auch mit Maismehl gestreckt, denn die Auswirkungen des Embargos und der Trockenheit der letzten Jahre sind überall zu spüren. Zum 1. Mai kamen dann Regen und Kälte nochmal zurück und nun geht es den heißen Sommermonaten entgegen.
Für das Heilzentrum ŞîfaJin haben wir eine Ölpresse bekommen, mit der die Heilkunderinnen aus schwarzem Sesam, Brennnesselsamen, Oliven oder Leinsamen selbst Öl herstellen wollen, um es dann in Salben und Cremes zu verarbeiten.
Nähkurs: Selbstversorgung ist ein wichtiger Grundsatz
Damit die Frauen aus Jinwar nähen lernen und ihre Kleidung sowie jene ihrer Kinder selbstständig herstellen können, wurde eine Nähwerkstatt als Atelier eröffnet. Vier Nähmaschinen wurden gespendet und eine Mutter aus Jinwar bietet den anderen Müttern jetzt jeden Tag zwei Stunden einen Nähkurs an.“
Newrozfeuer in Jinwar
Die Bewohnerinnen von Jinwar freuen sich über Rückmeldungen, Ideen und Vorschläge und sind über die Mailadresse [email protected] erreichbar. Spenden an das Frauendorf können über folgende Bankverbindung überwiesen werden: MIKA Asociation de sororidad internacionalista Betreff: JINWAR Bank: Caixa d’engenyiers IBAN: ES4230250025201400027571 SWIFT: CDENESBBXXX