Die feministische Delegation der Kampagne „Gemeinsam kämpfen“ trifft Cemile Hussein in der Jineoloji-Akademie in Tabqa, das im April 2017 durch die QSD vom „Islamischen Staat“ (IS) befreit wurde. Cemile ist Araberin, Mitte 50 und arbeitet in der Leitung der Akademie mit. Bevor der Krieg begann, brachte sie ihre drei Kinder mit einem kleinen Marktstand alleine durch. Schon unter dem syrischen Regime ging es ihr nicht gut, es wurde schlimmer mit der Besatzung von Jahbat al-Nusra und am schlimmsten unter dem IS.
„Frauen wurden unter dem IS im Namen des Islam gefoltert, nur weil sie ihre Hände oder ihr Gesicht nicht bedeckt hatten“, erklärt uns Cemile. Auch für Männer galten strenge Kleidungsvorschriften. Sportkleidung sei verboten gewesen. Der Sohn ihres Bruders wurde gefoltert, nur weil er Turnschuhe getragen habe. Man habe ihm auch sein Telefon weggenommen, weil das ebenfalls verboten war. Vor vier Jahren sei die Familie ihres Bruders in den Libanon geflohen. Wenn eine Frau allein unterwegs war, beschuldigte man sie der Prostitution, möglicherweise wurde sie gesteinigt. Ein Brautpaar, die Frau in einem weißen Kleid, wurde in einen Brunnen geworfen und dort ertränkt, denn das Paar hatte gegen die Auflage verstoßen, dass Kleidung immer schwarz sein muss. „Das haben sie nicht gewusst“, erklärt Cemile. Die Hisba, weilbliche Scharia-Wächterinnen unter dem IS, wachten über solche Gesetze.
Cemile berichtet noch über viele weitere schreckliche Vorkommnisse unter dem IS. Scheichs, religiöse islamische Würdenträger, wurden ermordet, ihre Köpfe wurden ihnen abgeschnitten. Die Köpfe lagen wochenlang auf der Straße und niemand habe sich getraut, sie wegzubringen, obwohl es schrecklich gestunken habe. Zuletzt wurden sie auf die Müllhalde gebracht. Unter der Herrschaft des IS hätten die gut gelebt, die sich an dem Terrorregime beteiligt hätten. IS-Mitglieder hätten genug zu essen gehabt, alle anderen hätten gehungert. Die Preise für Grundnahrungsmittel seien ins Unermessliche gestiegen. Alles sei verboten gewesen, vom Fernsehen bis hin zu Familienfotos.
„Kurden mussten Geld bezahlen oder die Stadt verlassen“, berichtet Cemile. „Ezidische Frauen und Mädchen wurden zu Sklavinnen gemacht. Sie trugen als einzige keine schwarze Kleidung, damit jeder sehen konnte, dass sie Sklavinnen sind. In meiner Nachbarschaft gab es drei ezidische Mädchen, sie wurden oft gefoltert und vergewaltigt, sie wurden herumgereicht und mussten die Häuser der IS-Banden putzen. Die IS-Leute haben in Europa angerufen und gesagt: ‚Kommt her, hier gibt es schöne junge Frauen und die Männer sind feige‘.“
Der absolute Höhepunkt des Schreckens für sie sei gewesen, als ihr jüngster, zehnjähriger Sohn vom IS verschleppt wurde. Er sei einfach auf der Straße mitgenommen worden. „Als ich davon gehört habe, bin ich sofort zu ihrer Zentrale gelaufen“, berichtet Cemile und kann vor Entsetzen kaum weitersprechen. Unter Tränen berichtet sie, wie sie ihren Sohn gefunden hat: „Er war blutüberströmt, diese Verbrecher haben ihm teilweise mit Klingen die Haut abgezogen“, berichtet Cemile stockend. Zum Glück konnte sie ihren Sohn mitnehmen. Er wurde wieder gesund.
Cemile war gezwungen, ihren Marktstand weiter zu betreiben, um ihre drei Kinder zu ernähren. Der IS wollte sie zur Heirat zwingen. „Ich bin vier Tage nicht vor die Tür gegangen, da haben sie die Hisba zu mir nach Hause geschickt. Aber ich habe mich geweigert. Ich bin über 50 Jahre alt, habe ich gesagt, ich heirate nicht mehr. Auf dem Markt wurde ich beschimpft und angegriffen, aber einige Männer haben sich für mich eingesetzt und mich beschützt. Das war, als die Befreiungsoperation der QSD schon begonnen hatte“, berichtet Cemile weiter.
„Fernsehen war verboten, aber es gab versteckte Fernseher, die Bevölkerung hat sich gefreut, als sie gehört hat, dass die QSD vorrücken. Unsere Nachbarn hatten die Banden unterstützt, die haben dann die Stadt verlassen. Tabqa wurde von Kampfflugzeugen bombardiert. Viele Nachbarn haben die Stadt verlassen, aber ich bin geblieben. Ich war in einem Rohbau mit den Kindern, ohne Türen und Fenster, vier Tage lang. Der IS hat uns gesagt, wir sollen nach Deir ez-Zor gehen“, so Cemile. „Willst du bei den Schweinen bleiben?“, wurde sie gefragt. Irgendwann sei alles still gewesen. Plötzlich standen Kämpferinnen und Kämpfer der YPJ/YPG vor ihr. „Seid ihr vom IS?“ habe sie gefragt. „Warum weinst du?“ war die Antwort, „Wir sind hier, um euch zu befreien.“
„Dann haben die YPG an meinem Haus einen Stützpunkt aufgebaut. Die Bevölkerung kam langsam zurück. Ich wurde in meiner Kommune zur Verantwortlichen gewählt. Ich wurde Mitglied der Gerechtigkeitskommission. Meine Kinder sind jetzt versorgt. Mein Leben hat sich zu 100 Prozent verändert. Seit einem Jahr bin ich hier in der Akademie aktiv. Eine Freundin hat mich dafür vorgeschlagen. Zuerst habe ich hier nur Essen gekocht. Aber dann habe ich an allen Unterrichtseinheiten teilgenommen. Die Freundinnen, insbesondere Heval Nesrin, haben mir so viel geholfen. Frauen sollten keine Angst mehr haben. Frauen werden heute Ko-Vorsitzende, sie sind in den Organisationen aktiv und bekommen Bildung. Wir wollen, dass alle unsere Stimme hören, damit auch sie sich befreien. Ich verdanke den Freundinnen alles.“
Auf die Nachfrage der Übersetzerin, ob sie nicht auch dem Vorsitzenden Abdullah Öcalan viel zu verdanken habe, der ja schließlich das System der Frauenbefreiung initiiert habe, sagte Cemile ganz selbstbewusst: „Den kenne ich ja nicht persönlich, nein, ich verdanke alles Heval Nesrin.“