Wir treffen Meryem, eine arabische Frau Anfang 40, im Zentrum der Demokratischen Selbstverwaltung in Raqqa. Seitdem die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) die Stadt befreit haben, arbeitet sie im Frauenrat von Raqqa.
„Ihr könnt mir auch Fragen stellen“, erklärt sie uns, „aber zunächst möchte ich meine Geschichte erzählen.“ Sie habe viele Schmerzen erlebt, sie hätte gerne einen Schulabschluss gemacht, aber sie musste nach der 8. Klasse die Schule verlassen und wurde gegen ihren Willen verheiratet. Es sei nicht richtig, dass Mädchen so früh verheiratet würden. Es waren nicht unbedingt ihre Eltern, sondern vielmehr ihr Aschiret (Stamm), der den Druck aufgebaut habe. Sie habe dann ihre Sehnsucht, etwas aus ihrem Leben zu machen, auf die Kinder übertragen. Aber während der IS-Besatzung sei auch dieser Traum geplatzt, die Schulen wurden geschlossen.
„Ich habe so gehofft, die uniformierten Frauen der QSD würden uns befreien“
Eines Tages sei sie mit den Kindern und ihrem Mann am Euphrat gewesen. Dort habe sie gesehen, wie zwei Mitglieder des sogenannten Islamischen Staates zwei ezidische Mädchen entführt hätten. Eines der Mädchen habe sich in den Euphrat in den Tod gestürzt. „Drei Tage war ich vollkommen außer mir, konnte nicht mehr schlafen, mein Blutdruck stieg dramatisch. Als ich mit meinen Nachbar*innen darüber sprach, sagten sie, es sei doch inzwischen vollkommen normal, dass Frauen für 200 Dollar wie Vieh auf dem Markt verkauft würden. Da bin ich noch wütender geworden. Im Fernsehen haben wir dann gesehen, dass die QSD auf Raqqa vorrücken. Als ich gesehen habe, dass dort Frauen in Uniformen kämpfen, war das für mich, als würden meine Träume wahr werden. Ich habe so gehofft, sie würden uns befreien. Ich habe mir vorgenommen, dass ich nach der Befreiung eine Rolle im Aufbau spielen werde. Im ägyptischen Fernsehen wurde gesagt, es könne nicht sein, dass die Kurd*innen sie; Araber*innen und Tscherkess*innen, ohne Unterschiede befreien. Als die Bomben auf Raqqa fielen, habe ich mich gefreut“, berichtet sie weiter, „ich habe gelacht.“
„Warum wussten wir nicht vorher von Öcalans Ideen?“
Sie habe immer das Bild der ezidischen Mädchen vor Augen gehabt, sagt Meryem. Als die Kurd*innen gekommen seien, habe ein freies, neues Leben für sie begonnen. „Meine Sehnsucht wurde erfüllt, aber ich habe immer noch Angst, dass ich aus diesem Traum erwache“, führt sie fort. Sie schulde Abdullah Öcalan so viel und empfinde es als Schande, dass er im Gefängnis sitze, denn er habe viel für die Frauen im Mittleren Osten getan. „Warum wussten wir nicht vorher von Öcalans Ideen?“ fährt Meryem fort. „Wir hoffen, dass dieser Kampf in die ganze Welt getragen wird“.