Matriarchat, Organisierung und das selbstorganisierte Leben

Zum vierten Jineoloji-Camp Europas kamen am Wochenende 60 Frauen aus Deutschland zusammen, um eine gemeinsame Auseinandersetzung mit Themen wie Patriarchat und Kapitalismus zu entwickeln.

In der Zeit vom 20.–23. September 2018 fand das vierte Jineoloji-Camp Europas statt, welches aufgrund der zunehmend rechten Diskursverschiebungen in Deutschland eine wichtige Möglichkeit bietet, den gemeinsamen Kampf von Frauen in Deutschland zu verstehen und zu analysieren. Bis zu 60 Frauen aus Deutschland, überwiegend aus Norddeutschland, haben sich getroffen, um die damit zusammenhängenden Themen zu diskutieren. Alle Frauen kamen aus unterschiedlichen Kämpfen und Kulturen, was einen breiten Blickwinkel auf dieses Thema erlaubte. Gleichzeitig ist der Anspruch eine gemeinsame Perspektive, als auch eine gemeinsame Auseinandersetzung mit Themen wie Patriarchat und Kapitalismus zu entwickeln.

Die zunehmenden faschistischen Tendenzen in Deutschland sind nicht mehr zu leugnen und machen die Auseinandersetzung mit den Gründen dafür unausweichlich.

Neben dem Input von mehreren Vortragenden stand im Fokus des Jineoloji-Camps das Leben im Kollektiv und die damit verbundene Selbstorganisierung. Hinzu kamen gemeinsame kulturelle Aktivitäten wie singen und tanzen. Das Leben in den vier Tagen war geprägt durch das Leben in Kommunen und die damit verbundene Verantwortung der gesamten Gruppe gegenüber, durch die Übernahme der Organisierung des Frühstücks, Sauberkeit oder eines Sportangebotes. Das Wichtigste war jedoch dafür zu sorgen, dass alle sich im gemeinsam genutzten Raum wohlfühlen und durch Kritik und Selbstkritik aneinander wachsen können.

Die gemeinsame Zeit wurde genutzt, um in den oft zersplitterten Kämpfen einen Moment innezuhalten, in einen gemeinsamen Dialog zu kommen und dadurch Widersprüche zu überwinden oder zumindest sichtbar zu machen.

Allen gemeinsam war jedoch der Versuch, durch den Blickwinkel von Jineoloji (der Wissenschaft der Frau) die noch vorhandenen Überreste einer matriarchalen Kultur in Deutschland zusammenzutragen und dadurch das aktuelle patriarchale System besser zu analysieren und zu verstehen.

Durch Jineoloji die Entstehung des Patriarchats, des Nationalstaates und des Kapitalismus besser verstehen

Der erste Schritt war, sich mit der Entstehung von Jineoloji zu beschäftigen und die Herangehensweise zu vertiefen, was begleitet und in Diskussion mit Referentinnen des Jineoloji-Komitees Europa geschah. Durch diesen Einblick konnte eine Diskussion über Inhalte und Begriffe stattfinden, angefangen bei dem Begriff der Natur der Frau, welcher im Kampf der kurdischen Frauenbewegung als Abgrenzung zur männerdefinierten Rolle der Frau, als Dienerin des Mannes entstand. Heute ist dieser Begriff jedoch viel zu eng gefasst und beschreibt die Synthese von Dasein, Bewusstsein und Form nicht mehr ausreichend, den die kurdische Frauenbewegung verkörpert. Damit einhergehend führte die Diskussion zu den binären Geschlechterrollen, welche in der Gesellschaft immer noch unterdrückt und diskriminiert werden. Es gab einige Vergleiche zwischen Trans- und Interpersonen in natürlichen Gesellschaften und mit der in der heutigen Gesellschaft vorkommenden Unterdrückung. Gleichzeitig stellte sich die Frage: Warum soll eine Identifikation über Geschlecht überhaupt stattfinden, statt über politische Identitäten?

Die Jineoloji sieht es als ihre Aufgabe an, die Dogmen der Gesellschaft zu sprengen, dazu zählt auch der diskriminierende und ausgrenzende Umgang mit Trans- und Interpersonen.

Denn es stellt sich doch immer noch als sehr schwierig dar für Trans- und Intermenschen, frauendominierte Räume für sich nutzen und sich darin sicher fühlen zu können. Die Einladung in diese Räume alleine nützt nichts, die Erfahrungen von Trans- und Intermenschen müssen in die Kämpfe aktiv eingebunden werden und Trans- und Intermenschen müssen den Kampf viel aktiver sehen.

Die Diskussion über Widersprüche oder unterschiedliche Herangehensweisen führte zu einer tiefergreifenden Auseinandersetzung und dem damit verbundenen Verständnis von Jineoloji.

Im nachfolgenden Teil des Tages ging es um das Zusammenspiel von Patriarchat, Kapitalismus und Nationalstaat, welcher häufig als drei verschiedene Kämpfe wahrgenommen wird, im Endeffekt jedoch ein Kampf ist.

Durch den Blick auf die feministischen Kämpfe der Vergangenheit und die Einführung in verschiedene Definitionen des Feminismus von Firestone bis zu den Radikalfeministinnen wurde die Grundlage für die Analyse der Fehler geschaffen. Die Analyse der Vergangenheit und gleichzeitig der Entwicklung des Patriarchats dient des besseren Verständnisses für die aktuellen Kämpfe und deren Entwicklung. Denn Kapitalismus sollte eher als Verstärkung des Patriarchats gesehen werden, ohne Patriarchat gäbe es auch keinen Kapitalismus. Somit ist deutlich erkennbar, dass das Patriarchat der Grundbaustein des Staates und des Kapitalismus ist.

Geschichte des Matriarchats in Deutschland, Transidentitäten in der Geschichte, matriarchale Mythologie und Hexenverbrennung

Das Wort Matriarchat kommt von matri - Mutter - und arche - Ursprung - und bedeutet nicht, wie fälschlicherweise oft behauptet, die Herrschaft der Frau.

Die Umdeutung des Begriffs entstand erst durch Prägung des Begriffes Patriarchat für die Herrschaft des Mannes über die Frau. Durch den Vortrag, welcher sich inspiriert durch Heide Göttner-Abendroth mit der langen Phase des Matriarchats beschäftigte, wurde die Verehrung der mütterlichen Erde deutlich. Auf vielen Bildern von archäologischen Funden waren schwangere Frauen abgebildet, als auch die Betonung auf das fruchtbare Dreieck oder den Bauch, welche die Verehrung der Frau zu dieser Zeit bestätigen.

Auch in der Mythologie lässt sich die Verehrung von Göttinnen noch zurückverfolgen, zum Beispiel in Gestalten wie Frau Holle, Berchta und Frigga, welche die Göttin in dreifacher Gestalt darstellt, meist verbunden mit der Darstellung von Himmel, Wagen, Schwert und in weißer Farbe.

Die Umdeutung fand erst mit dem Christentum statt, welches die Göttin in Maria (die Mutter Gottes) umwandelte und ihr einen „unsündigen“ und reinen Charakter zuordnete. Da die Natur als heilig im Namen der Göttin verehrt wurde, wie zum Beispiel Berge und Wälder, wurden diese oft mit Marias Namen umbenannt. So findet sich vielerorts ein Marienberg oder Marienfeld.

Die Liste lässt sich noch weiterführen, über Weihnachtsgebäck mit vor allem Symbolen der Göttin, wie Engel, Sterne und Mond oder dem Osterfeuer.

Auch die Gebrüder Grimm sorgten durch die Veränderung der volkstümlichen Märchen, welche sie in der Bevölkerung sammelten, für eine Veränderung des Frauenbildes.

Während des Camps wurde in einem weiteren Vortrag der Schwerpunkt auf Trans- und Interidentitäten in der Vergangenheit gelegt. Hierbei gab es interessante Erkenntnisse über im 15. Jahrhundert stattgefundene Festivitäten, welche vor allem oder teilweise ausschließlich durch Transmenschen durchgeführt wurden. Die Geschichte der Rebeccas, welche durch szenische Theaterdarstellungen auf den Straßen protestierten oder den White Boys, die den patriarchalen Widerstand vorantrieben, wurden vorgestellt.

Insgesamt konnte festgestellt werden, dass die Verdrängung von Transidentitäten durch die Institutionalisierung des Patriarchats vorangetrieben wurde.

Es fanden nicht nur Umdeutungen durch das Christentum statt, sondern es wurde auch aktiv Wissen aus älteren Generationen durch die Hexenverbrennung vernichtet.

Den heilkundigen Frauen, kinderlosen Frauen oder Kräutersammlerinnen wurde oft unterstellt, einen Pakt mit dem Teufel zu haben. Sie wurden befragt, gefoltert und komplett herabgewürdigt, bis sie durch ein erzwungenes Geständnis hingerichtet werden konnten.

Vor allem Männer waren hier federführend, auch solche, welche sich als neue Wissenschaftler bezeichneten und in die Geschichte eingingen wie Thomas Hobbes.

Das gesammelte Wissen aus der Entstehung des Matriarchats und die tiefe Verbindung von Frauen zur Natur wurden in einer Kräuterwanderung in der näheren Umgebung praktisch wiederhergestellt. Das Lernen über alternative Heilmethoden und die Herstellung von Heilmitteln wie Salben oder Tees bei Bauchschmerzen oder Menstruationsbeschwerden aus Schafgarbe boten eine Verbindung.

Nationalsozialismus und die Geschichts-, Identitäts- und Orientierungslosigkeit in Deutschland

In der Zeit des Nationalsozialismus war das Frauenbild eher geprägt durch Mütterlichkeit und Fürsorge. Die Bereiche, in denen Frauen sich betätigen konnten, waren die Hauswirtschaft, Erziehung oder Wohlfahrt. Dies fand vor allem auch in den Kolonien statt, in welchen die deutsche Frau tugendhaft dafür sorgen sollte, dass Männer keine Mischehen mit einheimischen Frauen eingingen. Während des Nationalsozialismus wurden Frauen Teil eines patriarchalen Machtgefüges. Viele Frauen, haben den Rücken dieses Systems gestärkt.

Innerhalb des Nationalsozialismus sollten Menschen nicht frei denken, sondern zu gehorsamen, hörigen Untertanen erzogen werden. Dies fand vor allem in der Familie, aber auch in der Schule statt. Beginnend mit der theosophischen Schule, welche die sieben Rassen einteilte, hin zur Areosophie, der Wissenschaft der Arier, hin zur Thule-Gesellschaft wurde die Frage behandelt, wie der Nationalsozialismus dazu beigetragen hat, dass auch heute noch die Gesellschaft in Deutschland durch wenig freiheitliche Persönlichkeiten gekennzeichnet ist.

Weiterhin ging es um die Frage, inwieweit Individualisierung den Kampf hemmt und auch Isolation bedeutet. Isolierte Kämpfe sind für den Staat kontrollierbarer.

Der Staat versucht, Individualisierung als größte Freiheit darzustellen, dabei werden die drei Überlebenstriebe Produktion (Ernährung), Reproduktion und Verteidigung seine eigenen Zwecke verwendet. Das Produkt, welches erarbeitet wird, gehört dem Staat, monogame Beziehung wird als erfüllend dargestellt und das Gewaltmonopol ist auch in den Händen des Staates.

In keinem dieser Bereiche herrscht Freiheit, doch der Glaube daran, dass mehr Abstand von der Gesellschaft bedeutet, immer freier zu werden, besteht weiter.

Wir sollten uns die Frage stellen, ob wir wirklich selbstbestimmt in diesen drei Bereichen handeln und entscheiden oder ob das der Staat, stellvertretend für das Patriarchat, für uns tut.

Der Nachmittag wurde kämpferisch. Das gemeinsame Erlernen von Selbstverteidigungsstrategien, Selbstbehauptung, auch Boxen oder das Durchspielen von grenzüberschreitenden Situationen führte bei den Frauen zu einer selbstbewussten und ausgelassenen Stimmung.

Perspektive

Am letzten Tag wurden die vorhergehenden Diskussionen zusammengetragen. Über die Herangehensweise von Jineoloji, die immer noch existierenden Hinweise der einstmals bestehenden matriarchalen Gesellschaften, hin zum Verstehen der Entstehung des Patriarchats und die daraus resultierende Zerschlagung der Identität von Frauen im Nationalsozialismus wurden viele Themen bearbeitet.

Frauen wurden von Göttinnen und lebensspendenen Organsiererinnen des Clans zu Dienerinnen des Mannes degradiert. Das erforschte Wissen schärft den Blick auf den gemeinsamen Kampf gegen das Patriarchat, denn nur eine gute Analyse der Vergangenheit und das Verstehen der Mechanismen führen zu einer korrekten Analyse der nun existierenden Gesellschaft. Gleichzeitig bot das selbstorganisierte Leben in der viertägigen Gemeinschaft die Möglichkeit, eine andere Gesellschaftsform auszuprobieren und in die Praxis umzusetzen.

Ein weiteres Jineoloji-Camp wird für das nächste Jahr geplant und das erforschte Wissen und die Erkenntnisse werden in einer Broschüre festgehalten werden.