In Frankreich hat es in diesem Jahr bereits mindestens 101 Femizide gegeben – also die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts. Hinzu kommen jährlich rund 220.000 Fälle von körperlicher, psychischer und/oder sexualisierter Gewalt. Um auf diese hohen Zahlen aufmerksam zu machen und wirksame Mechanismen zum Schutz von Frauen vor patriarchaler Gewalt und Femizid durchzusetzen, sind am Samstag tausende Menschen in knapp 60 Städten in Frankreich auf die Straße gegangen. Allein in der Hauptstadt Paris zeigten mindestens 50.000 Menschen Flagge gegen Gewalt an Frauen und Diskriminierung. Mit dabei war auch ein Block der Kurdischen Frauenbewegung in Europa (TJK-E).
Die Demonstration startete am Place de la République und führte in einer lilafarbenen Prozession bis zum Place de la Nation. Aufgerufen hat das feministische Kollektiv #NousToutes (Wir alle), das von knapp 70 Organisationen, Parteien, Gewerkschaften und Verbänden unterstützt wird. „Wir sind heute auf der Straße, um ein Ende der sexistischen und sexualisierten Gewalt an Frauen, Kindern, trans*Menschen und der LGBTIQ+ einzufordern“, erklärte die Bewegung mit Blick auf den heutigen 20. November, der internationaler Tag der Kinderrechte sowie Gedenktag für die Opfer von Transphobie ist, sowie den bevorstehenden Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November.
Auf den Schildern und Transparenten standen zentrale Forderungen der Bewegung und Kritikpunkte: „Stoppt Femizid“, „Nicht noch eine“, „Schütze dich, verteidige dich“ oder „Für die Gewalt ist das System verantwortlich“. Die kurdischen Aktivistinnen trugen neben ihren eigenen Fahnen auch solche mit den Konterfeis der Revolutionärinnen Sakine „Sara“ Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez, die 2013 von einem türkischen Attentäter in Paris ermordet wurden. Außerdem hielten sie Plakate mit der Losung „Jin, Jiyan, Azadî“ (Frauen, Leben, Freiheit) hoch. Bei der Auftaktkundgebung wurde der Govend-Tanz Bablekan dargeboten, der bei den Kurdinnen und Kurden auch als Selbstverteidigungstanz bekannt ist.
„Wir wollen unsere Wut herausschreien. Wir wollen auf die Schreie der 101 Frauen aufmerksam machen, die seit Jahresbeginn ermordet worden sind. Wir wollen Schreie ausstoßen für 94.000 vergewaltigte Frauen jedes Jahr und auf die Tränen aller weiblichen Gewaltopfer in diesem Land aufmerksam machen“, hieß es in einer Rede zum Auftakt. Wenige Monate vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich wolle man die Diskrepanz zwischen politischer Debatte und den Fakten anprangern, sagte Marylie Breuil von #NousToutes. Die Hilfsangebote für weibliche Opfer von Gewalt und Maßnahmen, die zum Schutz der Frauen und Mädchen ergriffen werden können, seien „lächerlich“, so Breuil. Gerade einmal ein Prozent der zur Anzeige gebrachten Gewalttaten würden in Verurteilungen enden. #NousToutes wirft Staat und Justiz vor, das Gewaltproblem nicht wirklich ernst zu nehmen und fordert ein grundlegendes Umdenken und harte Strafen für Täter.
Erstmals 2018 auf der Straße
Die ersten Demonstrationen von #NousToutes waren 2018 organisiert worden, ein Jahr später beteiligten sich dann mehr als 150.000 Menschen am bisher größten Marsch in der französischen Geschichte gegen sexistische und sexualisierte Gewalt. 2020 mussten die Aktionen der Bewegung pandemiebedingt ausfallen.