Kurdische Frauenbefreiungsideologie: Vortrag von Anja Flach in Bonn

Die Ethnologin und Autorin Anja Flach hat in Bonn einen Vortrag über die Inhalte und die Entstehungsgeschichte der kurdischen Frauenbefreiungsideologie gehalten.

Am Dienstag hat in Bonn eine Veranstaltung der feministischen Gruppe Fande (Feministische Bande) mit der Hamburger Ethnologin und Autorin Anja Flach zum Thema „Theorie und Praxis der kurdischen Frauenbefreiungsideologie" stattgefunden. Anja Flach führte die etwa 20 Zuhörer:innen in ihrem Vortrag durch die Entwicklungen und Herausforderungen der Freiheitsbewegung in Kurdistan, die seit den1970er Jahren immer größer wurde.

Der Vortrag ging zunächst auf historische Meilensteine der Bewegung und die Entwickelung ihrer Ideologie ein, um anschließend die Prinzipien der Frauenbefreiungsideologie zu erläutern. Die Referentin begann mit einem Rückblick auf die Anfänge der Bewegung in den 1970er Jahren, wobei Persönlichkeiten wie Sakine Cansiz, Bese Anuş oder Hozan Mizgîn (Gurbet Aydin) hervorgehoben wurden. Insbesondere wurde auf die schwierigen Zeiten nach dem Militärputsch in den 1980er Jahren in der Türkei eingegangen, in denen zehntausende Menschen, einschließlich vieler Frauen, inhaftiert wurden. Diese Zeit markierte einen entscheidenden Wendepunkt für die kurdische Bewegung, die sich für ihre Rechte und ihre Freiheit einsetzte.

Eine Aktionsform, die im Vortrag erläutert wurde, war die Strategie der „bewaffneten Propaganda", die von der kurdischen Bewegung angewendet wurde. Die kurdische Guerilla besuchte dabei Dörfer und suchte Gespräche mit den Menschen. Frauen spielten dabei eine entscheidende Rolle. Zunächst trugen sie Kopftücher, um in der damaligen feudalen Gesellschaft überhaupt angenommen zu werden.

Die Frage der Frauenbefreiung war von Anfang an ein zentrales Thema, das die Bewegung vorantrieb. Der PKK-Begründer Abdullah Öcalan unterstützte diese Bemühungen maßgeblich. Ein Meilenstein der Frauenbewegung, so Anja Flach, war ihre Internationalisierung ab den 1980er Jahren. Ein Beispiel dafür war der erste lange Marsch von Hanau nach Bonn im Jahr 1984, der die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auch auf die Anliegen der kurdischen Frauen lenkte.

Die Altersstruktur in den Bergen Kurdistans, wo die meisten Frauen 10 bis 15 Jahre jünger als ihre männlichen Genossen waren, stellte die Guerilla zur selben Zeit vor Herausforderungen: Wie sollte unter diesen Umständen, zusätzlich zu dem allgemein herrschenden Patriarchat, ein gemeinsames Leben aussehen? Diese Frage war der Beginn der Theorie der Loslösung. Ab den frühen 1990er Jahren entstanden die ersten Frauengruppen, zunächst vorübergehend, bevor sich ab 1995 feste autonome Frauenmilitärstrukturen etablierten, erklärte die Referentin. Die Frauenbewegung kämpfte jedoch nicht nur militärisch und war in allen Feldern der Gesellschaft aktiv, besonders in der Organisierung von Frauen und in der Bildungsarbeit.

Die Prinzipien der Frauenbefreiungsideologie, wie sie im Vortrag vorgestellt wurden, umfassen die Liebe zum Land und seinen Menschen, freies Denken und freier Wille, Organisierung, die Entscheidung zum Kampf sowie Ethik und Ästhetik. Anja Flach erläuterte auch Abdullah Öcalans Vorschlag, „den Mann zu töten". Dabei geht es im übertragenen Sinne um die Überwindung des Patriarchats und männlicher Dominanz in den Persönlichkeiten der Menschen. Öcalans Verschleppung und Inhaftierung in der Türkei führte 1999 zu einer vorübergehenden Schwächung der Frauenbewegung. Vorschläge, die autonome Organisierung aufzuheben, kamen auf, konnten sich jedoch nicht durchsetzten. Noch im selben Jahr gründete die Bewegung eine eigene Frauenpartei, die PJKK. Heute sind die Frauenpartei PAJK und die Frauenarmee YJA Star Bestandteil der Gemeinschaft der Frauen Kurdistans (KJK).

2011 beschloss die Bewegung, die Jineolojî – die Wissenschaft der Frau – überall zu etablieren. Diese Fortschritte verdeutlichen die anhaltende Bedeutung und Gestaltungsfähigkeit der kurdischen Frauenbefreiungsbewegung, die weiterhin für Gerechtigkeit und Emanzipation kämpft, nicht nur in Kurdistan, sondern weltweit. Anja Flach erläuterte an vielen Beispielen, welche Schritte auch in der Linken in Deutschland gemacht werden müssten, um den Kampf der Frauen aus seinem wellenartig schwankenden Verlauf herauszuholen, die Richtung des Kampfes klarer zu bestimmen und die militante Haltung kontinuierlich zu fördern.