Kurdische Bürgermeisterinnen bleiben im Gefängnis

Die Ende 2019 wegen Terrorvorwürfen verhafteten Bürgermeisterinnen der kurdischen Städte Qoser und Stewr bleiben im Gefängnis. Die vermeintlichen Beweise gegen sie stützen sich unter anderem auf eine Zeugenaussage, die sogar laut Polizei inszeniert ist.

Am 2. Schwurgerichtshof in der nordkurdischen Provinzhauptstadt Mêrdîn (türk. Mardin) hat am Dienstag die zweite Verhandlung im Prozess gegen die abgesetzten Bürgermeisterinnen von Qoser (Kızıltepe) und Stewr (Savur), Nilüfer Elik Yılmaz und Gülistan Öncü (HDP) stattgefunden. Den Frauen wird im Zusammenhang mit vermeintlichen Aktivitäten für den zivilgesellschaftlichen Zusammenschluss KCD (Demokratischer Gesellschaftskongress) sowie Wahlkampfveranstaltungen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisationen“ vorgeworfen. Seit Ende 2019 befinden sie sich in Untersuchungshaft.

Die Vorwürfe gegen Yılmaz und Öncü sind vage formuliert und beziehen sich auf Aussagen von fünf Belastungszeugen, von denen drei anonymisiert sind. Die inzwischen namentlich Bekannten erschienen bislang nicht vor Gericht. Yılmaz, die wie ihre frühere Amtskollegin Öncü heute nicht im Saal saß, sondern per Videoschalte aus einem Hochsicherheitsgefängnis im westtürkischen Tarsus in die Verhandlung eingebunden wurde, forderte die Richter auf, die vermeintlichen Zeugen vorzuladen. „Ich verlange, ihren Aussagen beizuwohnen und sie mit Fragen zu konfrontieren. Ich möchte wissen, wer diese Personen sind und auf welcher Grundlage ich diesen Verleumdungen ausgesetzt werde“, sagte Yılmaz.

Bei den Zeugen im Verfahren gegen die beiden Politikerinnen handelt es sich vermutlich um solche aus dem Kronzeugenpool für politische Verfahren in der Türkei. Meist sind es selbst inhaftierte Personen, die dann gegen die gewünschte Aussage freigelassen werden. Dass zumindest die Aussage des Zeugen „Boxer“ im Fall von Yılmaz und Öncü inszeniert ist, hat inzwischen sogar das Polizeipräsidium von Mardin bestätigt. Öncü bezeichnete die Anschuldigungen gegen sich und ihre Kollegin als „realitätsfern“.

Die Verwertung der Aussage eines anonymisierten Belastungszeugen verletzt die Verfahrensgarantien von Art. 6 EMRK nicht, wenn sie als Mosaikstein ein anderweitig gewonnenes Beweisergebnis, welches allein für den Schuldspruch zwar nicht ausreicht, aber einen schwerwiegenden Tatverdacht begründet, ins Stadium des rechtsgenügenden Beweises zu überführen vermag. Im Fall von Nilüfer Elik Yılmaz und Gülistan Öncü liegen allerdings keine anderen „Beweise“ vor, erklärten die Verteidiger*innen der Politiker*innen und forderten ihre Freilassung. Das Gericht wies den Haftentlassungsantrag zurück und ordnete die Vorladung der Zeugen an. Der Prozess wird am 20. Oktober fortgesetzt.