Nach 53 Hauptverhandlungstagen vor dem Landgericht Göttingen wurde im Prozess gegen den Ehemann der in ihrem Wohnzimmer erschossenen 27-jährigen Besma A. am Samstag das Urteil gesprochen. Der 51-jährige Angeklagte ist wegen Mordes und illegalen Waffenbesitzes zu 13 Jahren Haft verurteilt worden. Die AG Prozessbegleitung zum Feminizid an Besma A., die den Fall von Anfang an verfolgt hat, kritisiert, dass das Gericht es in der Urteilsbegründung unterlässt, die Tat als geschlechtsspezifischen Tötungsdelikt einzuordnen.
„Von Beidseitigkeit kann keine Rede sein“
Jana Faber von der AG Prozessbegleitung erklärte nach der Urteilsverkündung: „In der Begründung des Urteils war immer wieder die Rede von der zerrütteten Ehe und dass beide Eheleute eine tiefe gegenseitige Abneigung gehegt hätten. Diese Darstellung verschleiert, dass Besma A. von ihrem Ehemann geschlagen, getreten, bedroht und gedemütigt wurde. Nichts dergleichen fand umgekehrt statt. Von einer vermeintlichen ‚Beidseitigkeit‘ kann keine Rede sein.“
Das Gericht geht laut eigener Aussage mit dem Urteil einen Mittelweg zwischen den Forderungen der prozessbeteiligten Parteien. Die Strafverteidigung hatte darauf beharrt, dass es sich bei der Tat um ein Versehen gehandelt habe, und auf zwei Jahre auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung plädiert. Die Staatsanwaltschaft forderte eine Verurteilung wegen Mordes mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe. Die Nebenklagevertretung sah zudem eine besondere Schwere der Schuld als gegeben an.
Das Gericht hält sowohl die Darstellung, dass es sich um einen Unfall gehandelt habe, als auch die Darstellung eines „genau durchchoreographierten Mordes“ für unzutreffend. Vielmehr habe der Angeklagte den Entschluss zur Ermordung seiner Ehefrau spontan gefasst. Das Motiv sei die „schwerst zerrüttete Ehe“ gewesen. Er habe die Situation bewusst ausgenutzt, in der sie arg- und wehrlos schlafend auf dem Sofa saß, und sie aus 80 bis 150 Zentimetern Entfernung vorsätzlich erschossen.
„Partnerschaftsgewalt ist nicht geschlechtsneutral“
„Partnerschaftsgewalt ist nicht geschlechtsneutral und es ist verharmlosend, von einem beidseitigen Konflikt zu sprechen, wenn ein Mann seine Ehefrau tyrannisiert und schließlich tötet“, so Faber. „Dass die ehelichen Probleme zudem sogar als strafmindernd angeführt wurden, zeigt deutlich, dass die Richter:innen nicht ausreichend für geschlechtsspezifische Gewalt sensibilisiert sind. Im Prozess wurde bekannt, dass bereits Cemal As. erste Ehefrau ins Frauenhaus geflüchtet ist. Es kann nicht sein, dass einem gewalttätigen Mann Verständnis dafür entgegengebracht wird, wenn er den Zustand seiner Ehe als ausweglos empfindet.“
Nur durch den Offenen Brief verschiedener Fraueninitiativen 2020, die enge Begleitung der AG Prozessbegleitung und den Mut der Familie Besmas wurde die Dimension der Gewalt und das Leid von Besma sichtbar gemacht und nach außen getragen. Viele Juristinnen, so zum Beispiel der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb), fordern aufgrund dieser Sachlage verpflichtende Fortbildungen für Richter:innen zum Thema geschlechtsspezifische Gewalt.
Keine Berücksichtigung struktureller patriarchaler Gewalt
„Im Urteil wird nicht berücksichtigt, dass Besma A. sich von ihrem Ehemann scheiden lassen wollte. Und das, obwohl die Trennungstötung – also die Tötung einer Frau durch ihren Partner, weil dieser ihren Trennungswunsch nicht akzeptiert – in Deutschland der häufigste Fall der Intimpartnerinnentötung ist. Außerdem zeigt die strafmildernde Berücksichtigung der Aussage des Mörders, er habe seine Frau aus Versehen beim Reinigen seiner Waffe erschossen, als Teilgeständnis sowie der Fakt, dass die dem Gericht bekannte Gewalt an dessen Ex-Frau keine rechtlichen Folgen hatte, noch einmal die Außerachtlassung struktureller patriarchaler Gewalt durch das Gericht“, erklärt die AG Prozessbegleitung.
Gedenken vor dem Landgericht
Während der Urteilsverkündung fand vor dem Landgericht eine Mahnwache zum Gedenken an Besma A. mit über 50 Teilnehmenden statt. Trotz der niedrigen Temperaturen standen Menschen eineinhalb Stunden bei Tee und im Austausch zusammen und gedachten Besma A. mit Kerzen und Blumen. Ein eigens für das Prozessende gebildeter Chor sang das feministische Lied „Canción Sin Miedo“ („Lied ohne Angst“), welches den Umgang des Staates und der Justiz mit Feminiziden in Mexiko anprangert und kritisiert. Die AG Prozessbegleitung informierte die Anwesenden über das
Prozessgeschehen der letzten zwei Jahre.