Die AG Prozessbegleitung zum Prozess gegen Cemal A. organisiert am 13. Januar um 12 Uhr erneut eine Mahnwache vor dem Landgericht Göttingen. Cemal A. ist wegen des Mordes an seiner Ehefrau Besma A. angeklagt. Für den kommenden Prozesstag hat der vorsitzende Richter Jakubetz Entscheidungen zu den zuletzt gestellten Beweismittelanträgen der Verteidigung sowie weiterhin die Abschlussplädoyers der Verteidiger:innen von Cemal A. angekündigt. Mit der Mahnwache will die AG an die ermordete Besma A. erinnern und die Prozessbeteiligten dazu auffordern, den Feminizid an Besma A. in den Plädoyers und im Urteil anzuerkennen.
Gerechtigkeit für Besma A.
„Der Beginn des Prozesses ist nun bald zwei Jahre her. Für die Angehörigen von Besma A. ist es eine Tortur, dass sich dieser Prozess nun schon so lange hinzieht. Als Prozessbegleitungsgruppe fordern wir gemeinsam mit den Nebenklägerinnen Gerechtigkeit für Besma A. Das bedeutet für uns, dass Besma nicht vergessen wird, dass der Mord an ihr eine Mahnung an die Gesellschaft ist, die deutlich macht, dass jeden Tag klar Position gegen Feminizide bezogen werden muss – im Alltag, vor den Gerichten und in den Parlamenten“, so Nele Möhlmann von der AG Prozessbegleitung.
Aus Sicht der AG Prozessbegleitung wurde im bisherigen Prozess nicht ausreichend thematisiert, dass Besma A. durch Cemal A. wiederkehrend patriarchaler Gewalt erleiden musste, die in dem Mord an ihr ‒ einem Feminizid ‒ gipfelte. Die AG Prozessbegleitung stellte in der bisherigen Beobachtung des Prozesses fest: Obwohl dem Gericht Beweise für die patriarchale Gewalt von Cemal A. gegenüber Besma A. vorlagen, ist die Staatsanwaltschaft dieser in ihrem Agieren während des Prozesses sowie in ihrem Plädoyer nicht weiter nachgegangen. Insbesondere die Strafverteidigung hat in der Vergangenheit die patriarchale Gewalt gegenüber Besma A. systematisch geleugnet und das Opfer sowie die Angehörigen Besma As. verhöhnt.
Angehörigen wird die Glaubwürdigkeit abgesprochen
„In den Verhandlungstagen beobachten wir, wie der Gerichtsprozess patriarchale Strukturen reproduziert und dabei viele typische Merkmale von Prozessen, in denen über Gewalt gegen Frauen und Femizide verhandelt wird, aufweist: Den Angehörigen der Getöteten wird die Glaubwürdigkeit in ihren Zeuginnenaussagen abgesprochen. Durch die Verteidigung wird infrage gestellt, dass der Tötung eine Gewaltbeziehung vorausging, obwohl es dafür zahlreiche Beweise wie Fotos und Sprachnachrichten gibt. Das Tragen moderner Kleidung und das Besuchen eines Deutschkurses werden als Indikatoren für die Unabhängigkeit von Besma A. gedeutet. Daraus wird geschlussfolgert, dass sie sich, wenn ihrer Tötung eine Gewaltbeziehung vorausgegangen sei, hätte trennen können. Damit wird ihr implizit eine Verantwortung für das ihr Wiederfahrene zugeschrieben“, so Möhlmann weiter.
Zum Hintergrund
Besma A. wurde in der Nacht vom 14. auf den 15. April 2020 von ihrem Ehemann in ihrem Wohnzimmer in Einbeck durch einen Kopfschuss getötet. Er gibt an, sie „aus Versehen“ erschossen zu haben. Statistisch stirbt in Deutschland mehr als jeden dritten Tag eine Frau durch die Hände ihres (Ex-)Partners, jeden Tag geschieht ein versuchter Feminizid. Für eine Frau ist die gefährlichste Phase in einer Beziehung die, in der sie sich für die Trennung entschieden hat. Auch Besma A. wollte sich scheiden lassen. Diesem gesellschaftlichen Problem wird der Gerichtsprozess nicht gerecht, so das Urteil der AG Prozessbegleitung.
Als überregionale, solidarische Prozessbegleitungsgruppe beobachtet die AG den Prozess seit Mai 2021. Mitglieder der AG sowie voraussichtlich Suad Ismail, die Schwester von Besma A. und Nebenklägerin im Prozess, stehen am 13. Januar bei der Mahnwache ab 12 Uhr für Interviews zur Verfügung. Des weiteren ist die AG per E-Mail unter [email protected] erreichbar.