Das Bündnis „Frauen sind gemeinsam stark“, ein Zusammenschluss sozialistischer, feministischer und weiterer Frauenorganisationen, hat in Istanbul den Startschuss für eine Kampagne unter dem Motto „Frauenmorde sofort verhindern“ gegeben. Die Aktivistinnen kamen mit Transparenten mit der Aufschrift „Männergewalt stoppen“ und „Istanbul-Konvention umsetzen“ auf dem Platz am Fähranleger in Kadiköy zusammen und trugen dabei Schilder mit Zahlen von eins bis hundert, auf deren Rückseite die Namen ermordeter Frauen standen.
Auf der Kundgebung, an der unter anderem die HDP-Abgeordneten Züleyha Gülüm und Oya Ersoy teilnahmen, wurde von Feride Eralp eine Erklärung im Namen des Bündnisses abgegeben. Mit der Kampagne soll auf Männergewalt aufmerksam gemacht werden, sagte Feride Eralp:
„Wir sind zusammengekommen, um eine Kampagne gegen Frauenmorde einzuleiten. Wir ertragen es nicht, eine Person weniger zu werden. Gerade als wir den Aufruf gemacht haben, wurde Nadira Kadirova in der Wohnung des AKP-Abgeordneten Şirin Ünal in Ankara tot aufgefunden. In den Nachrichten hieß es, dass sie mit der Waffe des Politikers Selbstmord begangen haben soll. Innerhalb eines Tages erging der gerichtsmedizinische Bericht und der Leichnam wurde nach Usbekistan überführt. Ihre Familie, Freundinnen und Freunde sagen, dass Nadira Kadirova sexuellen Übergriffen ihres Arbeitgebers ausgesetzt war, aber die Polizei hat nicht darauf gehört.
Kurz darauf wurde die 19-jährige Melike Demirci von ihrem Ehemann erstochen. Gestern hat der Mörder von Ceren Damar behauptet, dass sie eine Beziehung mit ihm wollte, denn er wusste, dass ihm das vor Gericht nützen wird. Am gleichen Tag hat ein Gericht in Izmir einen Mann laufen lassen, der seine Frau, die sich von ihm trennen wollte, mit einem Messer angegriffen hat. Die Frau hatte ausgesagt, dass er sie töten wollte. Das Gericht fragte sie, warum das Messer nicht tiefer eingedrungen sein, wenn Tötungsabsicht bestanden habe.
Frauen begehren nicht zum ersten Mal gegen Gewalt auf. Unsere Geschichte ist die Geschichte des solidarischen Kampfes von Frauen für ein gewaltloses, selbstbestimmtes Leben. Heute und in diesem Land gibt es keinen Mechanismus, an den sich Frauen wenden können. Bei der Polizei stoßen sie auf Desinteresse, in Schutzhäusern wird auf eine Versöhnung mit dem Gewalttäter hingearbeitet.“
Wir alle können etwas tun
Es muss möglich sein, dass die Stimmen von Frauen gehört werden, bevor sie ermordet werden, fuhr Feride Eralp fort: „Es reicht aus, dass sich ein gesellschaftlicher und politischer Willen gegen Männergewalt manifestiert und eine entsprechende Politik gemacht wird. Nichts von dem, was wir bis heute erkämpft haben, wurde uns auf einem silbernen Tablett serviert. Es ist das Ergebnis von jahrzehntelangen Kämpfen. Die Garantie für diese Errungenschaften sind wiederum wir selbst. Eine Änderung der Mentalität, mit der männliche Gewalttäter geschützt werden, ist möglich, wenn wir alle zusammen unsere Stimmen erheben und uns für unser eigenes Leben einsetzen. Wir alle können etwas tun.“
Im Rahmen der Kampagne werden eine Umsetzung der Istanbul-Konvention des Europarats, die Einrichtung von Schutzhäusern, Krisenzentren für Vergewaltigungsopfer und Beratungszentren gefordert. In der Politik muss Geschlechtergleichberechtigung als vorrangiges Ziel anerkannt werden, in der Gesellschaft die Auffassung von Interventionen in Gewaltfällen als Einmischung in das Privatleben bekämpft werden, so Feride Eralö. Das Frauenbündnis kündigte außerdem tägliche Lärmaktionen gegen Gewalt um 20 Uhr an.
Nach der Erklärung wurden symbolisch für alle Frauenmorde die Geschichten von hundert ermordeten Frauen verlesen.