In der ersten Juli-Woche war es wieder so weit: An einem nicht näher benannten Ort irgendwo in Europa hat ein von der kurdischen Frauenbewegung „Jinên Ciwanên Têkoşer“ (Kämpfende junge Frauen) organisiertes Jineolojî-Camp stattgefunden. Über mehrere Tage lang tauschten sich die Teilnehmerinnen über Möglichkeiten der Umsetzung dieser aus der kurdischen Frauenbefreiungsbewegung kommenden Sozialwissenschaft aus.
Jineolojî als Wissenschaft der Frau kritisiert das elitäre, patriarchale, positivistische Verständnis von Wissenschaft. Dieses radikale Denken entwickelt Wissen und Methoden für die Erforschung und Überwindung patriarchaler, staatlicher und kapitalistischer Wissens- und Herrschaftsformen mit dem Ziel der Frauenrevolution für eine freie Gesellschaft. Das erste Mal schrieb Abdullah Öcalan 2008 in seiner Verteidigungsschrift „Soziologie der Freiheit“ von Jineolojî. Darin heißt es:
„Solange die Natur der Frau im Dunkeln bleibt, lässt sich die gesamte gesellschaftliche Natur nicht erhellen. Die wirkliche und umfassende Aufklärung der gesellschaftlichen Natur ist nur durch die umfassende und realistische Aufklärung der Natur der Frau möglich. Die Situation der Frau einschließlich ihrer Kolonialisierungsgeschichte und der wirtschaftlichen, sozialen, politischen und geistigen Aspekte dieser Kolonialisierung offenzulegen, wird einen großen Beitrag zur vollständigen Aufklärung aller anderen historischen Fragen und sämtlicher Dimensionen der heutigen Gesellschaft leisten.“
Die diesjährige Sommercamp für Jineolojî wurde der Guerillakämpferin Zenda Ekin gewidmet, die bürgerlich Rahime Akşahin hieß. Geboren 1992 in Riha (tr. Urfa), zog sie im Alter von 15 Jahren nach Hamburg, wo sich ihre Eltern zuvor niedergelassen hatten. Kurz nach ihrem 18. Geburtstag verließ Zenda Ekin Deutschland. Sie ging in die Berge Kurdistans und schloss sich der Guerilla an. Im Frühjahr 2013 kam sie als Kämpferin der YJA Star in den Medya-Verteidigungsgebieten ums Leben.
„Zendas Weg gilt als mutiges Beispiel für unser Ideal, Kurdistan gegen Besatzung, Patriarchat und Kapitalismus zu verteidigen“, sagte eine der am Camp teilnehmenden Aktivistinnen und verwies auf das Sprichwort kapitalistisches Patriarchat. „Gewiss gab es patriarchalische Gesellschaften bereits lange vor dem Siegeszug des Kapitalismus. Doch der Kapitalismus hat sich von Anfang an patriarchalische Strukturen angeeignet und darauf aufgebaut. Deshalb sagen wir, dass Kapitalismus und Patriarchat zwei Seiten einer Medaille sind.“ Umgekehrt habe sich das Patriarchat den Kapitalismus zu eigen gemacht, um seine Vormachtstellung in einer neuen Weltordnung zu festigen, in der Konsum und Profite auf Basis der Ausbeutung der Frau über allem anderen stünden.
„Daher sollten gerade junge Frauen ihren Mut finden und sich gegen Kapitalismus und Patriarchat stellen. Wir müssen uns weiterbilden, uns organisieren und die Ideale der vielen jungen Frauen verstehen, die vor uns diesen Weg gegangen sind und Opfer erbracht haben. Sich selbst weiterzubilden ist die Pflicht jeder jungen Frau. Die Schaffung einer freien und demokratischen Gesellschaft hängt von der Liebe und dem Willen der Menschen ab.“ Dafür gelte es zu kämpfen. Denn die Frauenwissenschaft sei zugleich auch eine Lebenswissenschaft.