Die iranische Frauenrechtlerin und Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi ist am Sonntag mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Stellvertretend für die 51-Jährige, die in ihrer Heimat in Haft sitzt, nahmen ihre Kinder Kiana und Ali Rahmani die Auszeichnung im Rathaus von Oslo entgegen. Die 17-jährigen Zwillinge verlasen die Rede ihrer Mutter, die diese im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran verfasst hatte. Für Mohammadi stand symbolisch ein leerer Stuhl auf der Bühne. Dahinter hing ein Porträt der Preisträgerin mit offenem Haar.
Das norwegische Nobelkomitee hatte Mohammadi den Preis Anfang Oktober „für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen in Iran und ihren Kampf für die Förderung der Menschenrechte und der Freiheit für alle“ zuerkannt. Die Auszeichnung solle auch die gesamte Bewegung würdigen, die unter der Losung „Frau, Leben, Freiheit“ (ku. Jin, Jiyan, Azadî) Hunderttausende Menschen im Protest auf die Straßen Irans gebracht hat.
In Rojhilat aufgewachsen
Narges Mohammadi wurde 1972 in Zandschan im Nordwesten Irans geboren und wuchs unter anderem in den kurdischen Städten Qurwe (Qorveh) und Şino (Oschnaviyeh) auf. Sie arbeitete als Journalistin und ist stellvertretende Vorsitzende des iranischen Zentrums für die Verteidigung der Menschenrechte Defenders of Human Rights Center (DHRC). Im Widerstand um die Rechte der Frauen in Iran ist sie seit drei Jahrzehnten. Dafür zahlt Mohammadi einen hohen Preis: Ihre Biografie ist eine Geschichte von Verhaftungen, Gewalt und Folter.
13-mal verhaftet und fünfmal verurteilt
Mohammadi wurde nach Angaben des norwegischen Nobelkomitees 13-mal verhaftet und fünfmal verurteilt – zu insgesamt 31 Jahren Gefängnis und 154 Peitschenhieben. Sie hat wiederholt über sexuelle Gewalt und andere Misshandlungen im Evin-Gefängnis berichtet. Ende 2022 etwa, während der Hochphase der „Jin, Jiyan, Azadî“-Revolution gegen den Machtapparat des Mullah-Regimes, deckte sie in einem Bericht schwere Folter an Dutzenden Frauen in dem Hochsicherheitsgefängnis auf. Der Aufstand hatte sich im September vergangenen Jahres am staatlichen Feminizid an der Kurdin Jina Mahsa Amini entzündet, die wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die Kleidungsvorschriften in Polizeigewahrsam zu Tode misshandelt wurde. Die Proteste wurden vom Regime blutig niedergeschlagen – und die Kleidergesetze für Frauen mittlerweile weiter verschärft worden.
„Wir haben uns gegen Unterdrückung, Diskriminierung und Tyrannei erhoben“
Mohammadi bekannte in ihrer Nobelpreisrede, sie sei eine von Millionen stolzer und widerstandsfähiger Frauen Irans, die sich gegen Unterdrückung, Diskriminierung und Tyrannei erhoben hätten. Unter einer Tyrannei zu leben, gleiche dem Leben eines unbewaffneten, wehrlosen Menschen unter Raketenbeschuss und Kugelhagel.
In Iran gebe es keine unabhängige Justiz, Günstlingswirtschaft und Korruption hätten die Gesellschaft in Armut und tiefe Ungleichheit gestürzt, kritisierte Mohammadi. Auf Proteste antworte das Regime mit Gewalt und Festnahmen. Der Kopftuchzwang für Frauen sei ein Versuch, die Gesellschaft zu unterwerfen. In dieser Situation sei nach dem Mord an Jina Mahsa Amini die Bewegung „Frauen, Leben, Freiheit“ entstanden, die von der Initiative der Frauen geprägt sei, aber auch stark von Männern und Jugendlichen unterstützt werde und die einen grundlegenden Wandel fordere.
Mohammadi mahnte, damit die Bewegung Erfolg habe, brauche es eine starke iranische Zivilgesellschaft und internationale Unterstützung. Sie sei sicher, dass der Friedensnobelpreis die Bewegung stärken werde. „Ich bin davon überzeugt, dass die Globalisierung des Friedens und der Menschenrechte grundlegender und wirksamer ist als die Globalisierung von irgendetwas anderem“, betonte sie. Entweder die Menschenrechte würden international beachtet oder die Menschenrechtsverletzungen breiteten sich über Staatsgrenzen hinweg aus. „Heute hat die iranische Jugend die Straßen und öffentlichen Räume in eine Arena des zivilen Widerstands verwandelt“, konstatierte Mohammadi. „Ich bin zuversichtlich, dass das Licht der Freiheit und der Gerechtigkeit hell auf das Land Iran scheinen wird.“
Nobelpreis traditionell am 10. Dezember überreicht
Die Nobelpreise gehen auf den schwedischen Chemiker, Erfinder und Unternehmer Alfred Nobel (1833 bis 1896) zurück und werden traditionell an dessen Todestag, dem 10. Dezember überreicht – der Friedensnobelpreis in Oslo, die übrigen Auszeichnungen für Literatur, Medizin, Physik, Chemie und Wirtschaftswissenschaften in Stockholm. Jede Kategorie der Auszeichnung ist in diesem Jahr mit einem Preisgeld von elf Millionen schwedischen Kronen (knapp 980.000 Euro) dotiert.