HDP-Frauenkonferenz: Frausein bedeutet Leben

In der Abschlusserklärung einer Konferenz des HDP-Frauenrates wird dem Patriarchat der Kampf angesagt. Beschlossen wurden unter anderem die Gründung einer Frauenakademie und der Aufbau eines internationalen Netzwerks.

Der Frauenrat der Demokratischen Partei der Völker (HDP) hat eine Abschlusserklärung zur dritten Frauenkonferenz in Ankara am vergangenen Wochenende veröffentlicht. An der Konferenz unter dem Motto „Beharren auf Freiheit, entschlossen zum Kampf“ haben 300 Delegierte aus der Türkei und Nordkurdistan teilgenommen.

In der Abschlusserklärung heißt es:

„Unsere Konferenz grüßt alle Frauen, die in der Türkei und überall in Kurdistan gegen die männlichen und staatlichen Angriffe auf den Straßen sind und den Frauenbefreiungskampf vergrößern. Das patriarchale kapitalistische System befindet global sich in einer schweren Krise und hat den Völkern und den Frauen einen Hegemonialkrieg auf vielen Ebenen erklärt.

Den internationalen Kampf vereinen

Von Rojava bis Chile, von Indien über den Iran bis in den Sudan rebellieren Frauen, Unterdrückte und Ausgebeutete in vielen Teilen der Welt gegen diese Aggression. Frauen werden auf dieser Welt zu Hunger, Armut, Arbeitslosigkeit, Gewalt, sexuellen Übergriffen, Vergewaltigung und Kapitulation auf allen Ebenen verurteilt. Ihnen wird ein eigener Wille, ein eigenes Selbst, eine eigene Sprache abgesprochen. Sie werden entpolitisiert, beherrscht und ausgebeutet. Kurz gesagt, sie werden als lebende Tote behandelt. Angesichts dieses vielschichtigen Angriffs sagen wir, dass Frausein Leben bedeutet. Wir betrachten uns wirkungsvollen Bestandteil des internationalen Kampfes von Frauen für ein demokratisches und freies Leben. Vor uns liegt die Aufgabe, ein internationales Netzwerk aufzubauen, damit dieser immer noch zersplitterte Kampf eine gemeinsame Perspektive bekommt und wir uns gegenseitig im Blick haben.

Frauenakademien und Selbstverteidigung

Unsere Region und unser Land werden von einem tödlichen Krieg beherrscht. Auf unserer Konferenz wurde festgestellt, dass das globale Kapital im Kampf um Hegemonie und die regionalen Status-Quo-Diktaturen Frauen nichts weiter anzubieten haben als Unterdrückung, Gewalt, Tod, patriarchale-staatliche Herrschaft und Krieg. Eine der Lösungsalternativen ist das direkt vor uns liegende Modell von Rojava, mit dem die Barbarei des IS und die imperialen Kräfte der Region besiegt wurden und das sich mit der Frauenrevolution, Frauengesetzen, Frauenräten, Frauenakademien und Selbstverteidigungskräften das Ziel gesetzt hat, die patriarchalen Gesellschaftsstrukturen zu verändern.

Leben, produzieren, lachen und träumen

Wie auf der ganzen Welt führt die sich verschärfende Krise der neoliberalen Wirtschaftspolitik auch in der Türkei zu vermehrter Arbeitslosigkeit, Armut, Unsicherheit und fehlenden Zukunftsperspektiven von Frauen. Die Regierung betrachtet Frauen auf dem Arbeitsmarkt als Grund für die hohe Arbeitslosigkeit und will Frauen aus allen Produktionsbereichen und dem öffentlichen Raum ausschließen, indem sie ihnen die Codes „Mutter“ oder „Ehefrau“ verpasst. Mit ihrer Sozialpolitik, die sie als Gnadenakt gewährt, werden Frauen von Männern und dem Staat abhängig gemacht und zu einem Leben auch unterhalb der Hungergrenze verurteilt. Durch die Ausweglosigkeit und Ungewissheit wird uns Frauen die Hoffnung gekommen. Wir werden in einen Zustand versetzt, in dem wir in unserem eigenen Land nicht mehr leben, produzieren, lachen und träumen können. Für jeden Selbstmord von Frauen sind die Regierung und dieses System verantwortlich. In diesem Zusammenhang ist es die Aufgabe der HDP-Frauenräte, gegen die patriarchale-ökonomische Krise und Frauenarmut auf verschiedenen Ebenen wie Frauenbeschäftigung, der unsichtbaren innerhäuslichen Arbeit von Frauen und Frauensolidaritätsnetzwerken zu kämpfen.

Gewalt gegen LGBTI+ und Kinder

Mit ihrer patriarchalen-staatlichen Gewalt steht die Türkei weltweit in den ersten Reihen. Es vergeht kein Tag, an dem wir als Frauen nicht ermordet und einschließlich sexueller Gewalt jeder Form von Gewalt ausgesetzt sind. Auch LGBTI+ werden als Ergebnis von Hassverbrechen, die von dem herrschenden politischen Klima genährt werden, täglich schwerer Gewalt ausgesetzt und ermordet. Die Männerregierung der AKP und MHP sowie das durch ihre Hand gegründete Männerbündnis haben Frauenmorde zum Normalzustand gemacht. Mit ihrer Monopol-Justiz und ihrem System der Straffreiheit wird Gewalt gegen Frauen und LGBTI gefördert. Dass die Istanbul-Konvention und das Gesetz 6284 nicht umgesetzt werden, das errungene Unterhaltsrecht gestrichen werden und eine Amnestie für Kindesmissbrauch erlassen werden soll, werden wir niemals hinnehmen. In diesem Zusammenhang wiederholen wir unser Versprechen, dass wir auf der Straße, bei der Arbeit und im Parlament unseren mit allen Fraueneinrichtungen und breiten Netzwerken geführten Kampf gegen die Angriffe des herrschenden Patriarchats auf unser Recht auf Leben und unsere Errungenschaften fortsetzen werden.

Sondermethoden in Kurdistan

In Kurdistan werden Frauen, besonders auch junge Frauen, neben der männlichen Gewalt auch über die Spezialkriegspolitik angegriffen. Diese Politik sehen wir deutlich an den Fällen von sexueller Gewalt, Missbrauch und erzwungenem Geschlechtsverkehr gegen Geld in Mardin, Bingöl und Dersim, in die auch vom Staat ermunterte Sicherheitskräfte verwickelt sind. Mit dieser Politik wird kurdischen Frauen kein Lebensraum mehr gelassen. Durch das Modell der Zwangsverwalter, die als Herrscher von Miniaturpalästen auftreten, werden alle Solidaritätsnetze von Frauen angegriffen. Das System der Doppelspitze und unser Recht auf gleichberechtigte Vertretung werden kriminalisiert. Das Modell des Ko-Vorsitzes, dass in allen Gremien unserer Partei für eine gleiche Repräsentation angewendet wird, ist für uns eine lila Linie. Wir werden keinen Schritt von unserem Anspruch zurücktreten, dass wir eine Frauenpartei sind. Wir setzen uns dafür ein, dass dieses Modell in der gesamten Türkei und im Mittleren Osten Anwendung findet.

Abdullah Öcalans Isolation

Abdullah Öcalan spielt eine Schlüsselrolle beim Thema Friedensschaffung und Demokratisierung. Er bietet den Völkern und Frauen eine demokratische, ökologische und genderbefreite Lebensperspektive und hat darauf hingewirkt, dass Frauen sich maßgeblich am Kampf für Gleichheit und Freiheit beteiligen. Er wird seit 21 Jahren unter absoluten Isolationsbedingungen im Gefängnis Imrali innerhalb eines von einer Sonderpolitik geführten Systems festgehalten. Mit dem von Leyla Güven initiierten Hungerstreik und dem von uns Frauen, von den Müttern mit den weißen Kopftüchern, angeführten Kampf konnte die Isolation für einen kurzen Zeitraum teilweise durchbrochen werden. Inzwischen hat die faschistische Kriegskoalition an der Macht erneut eine Totalisolation eingeführt. Wir alle haben das Potential der wenigen und eingeschränkten Botschaften Abdullah Öcalans gesehen, die die Außenwelt erreicht haben: Sie bedeuteten Hoffnung und Mut für die Frauen, alle Demokratie-Kräfte und die Völker und waren richtungsweisend im Kriegschaos des Mittleren Ostens. Wir betrachten den Kampf gegen die Isolation als untrennbaren Teil unseres Kampfes gegen die monistische, sexistische und nationalistische Gewaltpolitik. Die Zerschlagung der Isolation liegt als ein grundlegendes Ziel vor uns.

Junge Frauen im Visier der Macht

Da junge Frauen die Schnittstelle der Identität als Frau und Jugend sind, werden sie doppelt so stark ins Visier genommen. Aus diesem Grund beschwert sich die Regierung, dass sie nicht heiraten. Mit der Identität als Vater, großer Bruder, Partner, Geliebter wird Frauen das Recht auf Leben geraubt. An den Universitäten und Gymnasien werden junge Frauen zur Zielscheibe sexistischer Bildung. Wie wir am Beispiel von Sibel Ünlü gesehen haben, werden junge Frauen dazu gebracht, ihr Leben nicht als lebenswert zu betrachten, und mit einem Lira in der Tasche in den Selbstmord getrieben.

Zusätzlich zu dieser Politik versuchen die staatlichen Sicherheitskräfte in Kurdistan mit ihrer Politik der Spitzelanwerbung und Vergewaltigung, junge Frauen von der Linie der Frauenbefreiung abzubringen. Wer sich nicht davon abbringen lässt, soll durch Festnahmen und Verhaftungen gefügig gemacht werden.

Als Räte junger Frauen sind wir im Bewusstsein der Bedeutung unseres Widerstands entschlossen, unsere Arbeit an Universitäten, Schulen, in Fabriken und überall, wo junge Frauen sind, auszuweiten und immer neue Räte zu gründen, um die Spezialkriegspolitik ins Leere laufen zu lassen.“

Beschlüsse

Auf der Konferenz wurden folgende Schwerpunktthemen für die weitere Arbeit festgelegt:

Kampf gegen männliche und staatliche Gewalt an Frauen

Verteidigung unserer Errungenschaften gegen Zwangsverwaltung, Besatzung und Ausbeutungspolitik

Gründung einer Politakademie für Frauen und eines Frauenarchivs

Bildung eines internationalen Frauensolidaritätsnetzwerkes

Kontinuierlicher Kampf gegen Isolation

Kampagnen für die Freilassung gefangener Frauen

Herstellung eines Frauenbudgets

Politik gegen Frauenarmut und die Entwicklung von Lösungen

Verstärkung des Ökologiekampfes

Solidarität mit geflüchteten Frauen

Entschlossener Kampf gegen innerparteiliche patriarchale Herrschaftsstrukturen und Durchsetzung von Frauenprinzipien

Gründung von Räten junger Frauen