Güliz Kaya: „In der Türkei findet ein Feminizid statt“

Morde an Frauen in der Türkei seien keine „Einzelfälle“, sondern Ausdruck einer politischen Gesamthaltung, sagt Güliz Kaya vom Frauenrat der DEM-Partei. „Was wir erleben, ist ein struktureller Angriff auf das Leben von Frauen.“

„Selbstverteidigung beginnt mit Organisation“

Angesichts der weiterhin hohen Zahl von Feminiziden in der Türkei erhebt Güliz Kaya, Sprecherin des Frauenrats der DEM-Partei in Amed (tr. Diyarbakır), schwere Vorwürfe gegen die Regierung. Die Gewalt gegen Frauen seien keine „Einzelfälle“, sondern Ausdruck einer politischen Gesamthaltung. „Was wir erleben, ist ein struktureller Angriff auf das Leben von Frauen“, so Kaya.

Laut aktuellen Daten der Plattform „Wir werden Frauenmorde stoppen“ (KCDP) wurden allein in den ersten drei Monaten des Jahres 67 Frauen von Männern getötet. Weitere 83 Frauen starben unter verdächtigen Umständen. Besonders alarmierend: Ein Großteil der Morde geschah in den eigenen vier Wänden der Opfer – dort, wo sich Frauen am sichersten fühlen sollten.

„Regierungspolitik begünstigt Gewalt gegen Frauen“

Güliz Kaya sieht die Wurzeln der Gewalt in den politischen Entscheidungen der AKP-Regierung: „Mit der Abschaffung des Frauenministeriums 2011 und der späteren Umbenennung in ‚Ministerium für Familie und soziale Dienste‘ begann eine strukturelle Entwertung von Frauenrechten“, sagt sie. „Die Kündigung der Istanbul-Konvention, das Aushöhlen des Frauenschutzgesetzes 6284, Debatten um die Einschränkung von Unterhaltsansprüchen und die Ausrufung des Jahres 2025 als ‚Jahr der Familie‘ – all das zeigt, dass es nicht um den Schutz von Frauen, sondern um ihre Disziplinierung geht.“


Kaya betont, dass Frauenorganisationen und insbesondere der Frauenrat der DEM-Partei das Jahr 2025 hingegen als „Jahr des Widerstands“ verstehen. Es sei an der Zeit, die wachsende Repression nicht länger hinzunehmen.

„Straflosigkeit ist ein Nährboden für weitere Gewalt“

Besonders kritisch sieht die Politikerin die anhaltende Straflosigkeit bei Gewaltverbrechen gegen Frauen. Täter kämen oft mit milden oder gar keinen Strafen davon – eine Praxis, die die Spirale der Gewalt weiter antreibe. „Solange Männer wissen, dass sie nicht belangt werden, fühlen sie sich ermutigt. Das ist kein Zufall, sondern Teil einer patriarchalen Mentalität, die durch die staatliche Politik legitimiert wird“, so Kaya.

Allein Ende März wurden in Amed zwei Frauen von engen Familienangehörigen – Ehemann und Vater – getötet. Für Kaya ist klar: „Diese Realität verlangt nicht nach stiller Trauer, sondern nach entschlossener Organisation.“

„Selbstverteidigung beginnt mit Organisation“

Als Antwort auf die systemische Gewalt ruft Güliz Kaya zu mehr Selbstorganisierung von Frauen auf. Dabei bezieht sie sich auch auf den „Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“, den Abdullah Öcalan am 27. Februar von der Gefängnisinsel Imrali aus verbreiten ließ. „Demokratische Gesellschaft bedeutet Selbstverteidigung – und die organisieren wir über unsere Frauenräte“, erklärt Kaya. „In jeder Stadt, in jedem Bezirk bauen wir gemeinsam mit Frauen Strukturen auf, die ihnen Schutz, Unterstützung und politische Handlungsfähigkeit geben.“

Abschließend richtet sie sich an betroffene Frauen: „Habt keine Angst, bleibt nicht stumm. Ihr seid nicht allein – wir stehen an eurer Seite.“

Titelfoto: Demonstration in Wan im Januar 2025 für die Aufklärung der Todesumstände der Studentin Rojin Kabaiş