Güney: „Patriarchale Sprache in den Medien bekämpfen“
Die Sprecherin der Journalistinnenplattform Mesopotamiens, Ayşe Güney, beschreibt die Überwindung der patriarchalen Mediensprache als langen und entscheidenden Frauenkampf.
Die Sprecherin der Journalistinnenplattform Mesopotamiens, Ayşe Güney, beschreibt die Überwindung der patriarchalen Mediensprache als langen und entscheidenden Frauenkampf.
Ayşe Güney ist Sprecherin der Journalistinnenplattform Mesopotamiens (MKPG) und Redakteurin der Nachrichtenagentur JinNews. Im ANF-Gespräch erklärt sie, welche Sprache bei Berichten über Feminizide in den Medien genutzt wird.
„Frauen sind die entscheidende Dynamik für Veränderung“
Güney berichtet, dass Proteste in der Türkei und Nordkurdistan im Moment fast alleine von Frauen getragen werden: „Wenn wir die Region, in der wir leben, als Beispiel nehmen, dann stellen Frauen die größte oppositionelle Kraft dar. Frauen schaffen die notwendige Dynamik für eine Veränderung. Deswegen spielen sie eine entscheidende Rolle. Der Frauenkampf ist von größter Bedeutung dafür, in welche Richtung sich die aktuelle Phase entwickelt.“
In den Medien werden Frauenaktionen aus einer männlichen Perspektive dargestellt, kritisiert Güney: „Die Medien verhalten sich so, als gäbe es keine Istanbul-Konvention. Sie lassen sich die Worte von der Regierung in den Mund legen und tun so, als wäre das Abkommen nie von derselben Regierung unterzeichnet worden. Damit wird Stimmung gegen die Istanbul-Konvention gemacht.“
„Wir müssen die Wahrheit darstellen“
Güney fordert, dass die Inhalte der Konvention offen dargestellt werden müssen. Dies geschehe in den staatlich kontrollierten Medien überhaupt nicht. „Im Moment üben etwa 70 Prozent der Medien Selbstzensur”, erklärt sie. „Dennoch gibt es eine sehr ernstzunehmende Repression gegen die Medien, es werden Medienorgane geschlossen und Nachrichten zensiert. Auch die sozialen Medien werden eingeschränkt. Journalistinnen und Journalisten werden festgenommen, inhaftiert oder mit Geldstrafen überzogen. So sollen oppositionelle Medien zum Schweigen gebracht werden.“
„Frauenmörder werden entlastet“
Die Journalistin beschreibt, dass Frauenmorde systematisch relativiert werden: „So heißt es immer wieder: ‚Mann tötet Ehefrau aus Eifersucht‘. Es wird hier implizit der Frau die Verantwortung für den ‚Eifersuchtsanfall' des Mannes gegeben, der Mann wird von der Schuld freigesprochen. Auch Formulierungen wie ‚Eine Frau zog eine kurze Hose an und wurde zum Opfer von Gewalt‘ stellen solche Kausalitäten her. Diese Situation spiegelt sich auch vor den Gerichten wider. Die Sprache der Medien beeinflusst die Urteile und stellt die ermordeten Frauen so dar, als ob sie selbst schuld an ihrem Tod seien. Währenddessen soll der Täter in einem ‚Anfall‘, also einem Impuls, über den er keine Kontrolle hat, die Frau ermordet haben. Wenn einer Frau eine ähnliche Tat vorgeworfen wird, wird sie als Monster dargestellt. Männer rasten demnach einfach mal aus, aber Frauen werden zu Monstern.“
„Es kann keine Rede mehr von Gerichtsverfahren sein“
Die Medien nutzen eine ähnliche Sprache in der Berichterstattung über die Frauen, die die Istanbul-Konvention verteidigen. Auch gegen den Inhalt der Konvention wird Hetze in den Medien betrieben, sagt Güney: „Es finden auch praktisch keine wirklichen Gerichtsverfahren mehr statt. Was wir in den Medien beobachten, sehen wir auch vor Gericht. Ob jemand schuldig ist oder nicht, wird anhand der Berichterstattung in den Medien entschieden. Die Medien entscheiden anstelle der Gerichte.”
„Schluss mit der Manipulation”
Die Nachrichtenagentur JinNews hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Stimmen von Frauen hörbar zu machen. Ayşe Güney sagt dazu: „Wir sind die Stimme der Frauen, die nicht gehört werden. Wir müssen dieser Manipulation ein Ende bereiten. Deshalb müssen wir die Stimmen von Frauen verstärken. Die freien Medien haben sich in vielen sehr wichtigen Punkten dementsprechend geändert. Frauen sind keine bemitleidenswerten Opfer mehr.
„Es wurde ein Bewusstsein geschaffen“
Mit unseren Publikationsgrundsätzen wurde die Sichtbarkeit von Frauen erhöht. Aber wie ist das geschehen? Nehmen wir die Frauenökonomie oder die Kultur und Kunst: Frauen haben in vielen Bereichen Möglichkeiten geschaffen, sich auszudrücken. Bisher wurde so getan, als hätten Frauen keine Ahnung von Wirtschaft. Die Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler*innen waren Männer. Es haben immer nur Männer geredet.”
„Die Frauen ließen sich nicht einschüchtern und haben weitergemacht“
Güney erinnert an die Geschichte der Frauennachrichtenagenturen. 2012 war die Frauennachrichtenagentur JINHA gegründet worden. Nachdem diese per Ausnahmezustandsdekret geschlossen worden war, ging es mit Şûjin und JinNews weiter. Die Zahl der Blogs und Nachrichtenseiten von Frauen nahm trotz der Repression immer weiter zu. Die Journalistinnenplattform Mesopotamiens veranstaltet Workshops, wie ein auf Frauen fokussierter Journalismus aussehen sollte. Laut Ayşe Güney soll JinNews in nächster Zeit weiter ausgebaut werden.
„Müssen die Männer verändern“
Güney schließt mit den Worten: „Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, den Mann zu verändern. Es besteht der Bedarf, dass wir uns mit Journalisten, Redakteuren und Nachrichtensprechern zusammensetzen und mit ihnen diskutieren. Das ist unsere Aufgabe, denn das ist unsere Kampfform. Wir machen nicht nur Journalismus. Ich betone es immer wieder, es handelt hierbei um unser Kampfterrain. Richtig, unser Beruf ist Journalismus, und wir versuchen diesen professionell zu betreiben, aber grundsätzlich handelt es sich dabei auch um unser Kampfgebiet.“