„Unsere Rebellion, unsere Wut und unser Widerstand werden weiter anwachsen. Wir werden weiterhin die Straßen und Plätzen füllen, um unser Recht auf Selbstbestimmung und Freiheit zu erkämpfen“ – so in etwa lautete die zentrale Botschaft tausender Frauen und LGBTI+-Menschen (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche) diesen Samstag in Istanbul bei einer Kundgebung zum internationalen Frauenkampftag 8. März.
Das „Große Frauentreffen“ fand am Hafenvorplatz im asiatischen Stadtteil Kadıköy statt, der von den Beteiligten in ein buntes Fahnenmeer verwandet worden war. Zwischen den Flaggen und Transparenten der verschiedenen Frauengruppen und Parteien wurden auch Plakate mit den Konterfeis von Revolutionärinnen wie Clara Zetkin und Rosa Luxemburg hochgehalten. Andere Frauen hatten Bilder von inhaftierten HDP-Politikerinnen mitgebracht.
Kurdische Friedensmütter ganz vorne
Ganz vorne versammelten sich Aktivistinnen von der Initiative der „Friedensmütter“. Sie riefen immer wieder besonders laut und kämpferisch die zentrale Maxime der kurdischen Frauenbewegung, nämlich „Jin, Jiyan, Azadî“ (Frauen, Leben, Freiheit). Die Polizei störte wie erwartet schon zu Beginn die Zusammenkunft und sammelte Schirme in den Regenbogenfarben mit Verweis auf ein vermeintliches Verbot ein. Auch ein Transparent mit der Forderung nach „Freiheit für Şilan Delipalta“, einer Studentin, die im Zusammenhang mit den Protesten an der Istanbuler Boğaziçi-Universität derzeit in Untersuchungshaft sitzt, wurde eingezogen.
Wir bauen auf dem auf, was Frauen bereits für uns erstritten haben
Den Höhepunkt des Treffens bildete eine Erklärung der „Plattform 8. März“, die in den Sprachen Kurdisch, Türkisch und Arabisch verlesen wurde. Einleitend hieß es: „Der internationale Frauenkampftag steht in der langen Tradition im Widerstand gegen das Patriarchat und das kapitalistische System. Überall auf der Welt, von Lateinamerika über Europa und Asien bis in den Mittleren Osten, müssen wir Frauen für unser Recht auf Selbstbestimmung, Freiheit und Unversehrtheit kämpfen. Wir führen die Auseinandersetzungen der Frauen vor uns weiter und bauen auf dem auf, was sie bereits für uns erstritten haben. Wir sehen uns als Teil einer weltweiten Bewegung und solidarisieren uns mit allen kämpfenden Frauen und ihren Bewegungen.“
Frauen kämpfen an allen Fronten für die Rechte aller Unterdrückten
Gerade die Corona-Pandemie und die damit zusammenhängende steigende Gewalt gegen Frauen habe nochmal die Notwendigkeit vor Augen geführt, den Widerstand für erkämpfte Frauenrechte und gegen das Patriarchat, die „männlich-staatliche Gewalt“ und das „Palastregime“ zu steigern, lautete es weiter. „Wenn uns Staat und Patriarchat die Freiheit nimmt, unser Leben selbstbestimmt zu führen, dann müssen wir uns diese Freiheit erkämpfen.“ An allen Fronten, ob bei den Studierenden-Protesten gegen die Ernennung eines Zwangsverwalters als Rektor, den Streiks von Migros-Arbeiter*innen, dem Widerstand für den Erhalt der Istanbul-Konvention, kämpften Frauen ganz vorn für alle Menschen und gesellschaftliche Gruppen. Ob für die Rechte von Frauen, LGBTI-Menschen, politischen Gefangenen, während der Pandemie Gekündigten oder aller anderen Unterdrückten: „Frauen werden auch weiterhin den Kampf für ein selbstbestimmtes, gleichberechtigtes und freies Leben, frei von Gewalt, Rassismus und Diskriminierung anführen.“
Festnahmen zum Ende der Kundgebung
LGBTI-Aktivistin Yıldız İdil Şen aus Taxi heraus festgenommen
Zum Ende der Kundgebung kam es zu gewaltsamen Festnahmen durch die Polizei. Die Transfrau Yıldız İdil Şen sowie mehrere Freundinnen wurde aus einem Taxi heraus festgenommen, nachdem sie die Repression gegen LGBTI-Personen auf der Kundgebung lautstark kritisierten. Gegen Anwesende, die das Geschehen beobachtet hatten und versuchten, die Festnahmen zu verhindern, ging die Polizei ebenfalls gewaltsam vor und führte Festnahmen durch. Die abgeführten Frauen sind teils an den Haaren gezogen worden. Wie viele Personen insgesamt in Gewahrsam genommen wurden, ist noch unklar. Der Fotojournalist Şener Yılmaz Aslan ist ebenfalls auf ein Polizeirevier gebracht worden.