Große Frauendemonstrationen in Istanbul, Ankara und Izmir

In den drei Großstädten Istanbul, Ankara und Izmir gingen Tausende zum Frauenkampftag auf die Straße. Die Frauen forderten den Rücktritt der Regierung.

Am Abend des 8. März fanden in den Großstädten der Türkei große Demonstrationen statt. In Istanbul, Ankara und Izmir gingen unzählige Frauen auf die Straße. Die Frauen setzten mit ihrer massenhaften Teilnahme trotz Repression und Verboten ein Fanal des Widerstands. Zu Tausenden forderten sie den Rücktritt des Regimes in Ankara.

Zur Demonstration in Istanbul hatten Dutzende Frauenorganisationen aufgerufen. Die Frauen versammelten sich in Çihangir und Karaköy, um zum Taksim zu marschieren. Der Bezirksgouverneur von Beyoğlu hatte die Demonstration zum Taksim verboten. Trotz Verbot zogen die Frauen durch die Straßen von Beyoğlu in Richtung des zentralen Platzes. Lautstark hallte die Parole „Hükümet Istifa“ („Regierung tritt zurück“) durch die Straßen. Mitgeführt wurden Transparente mit Aufschriften wie „Wir sind wütend, wir trauern, wir befinden uns im feministischen Aufstand gegen die patriarchal-kapitalistische Zerstörung“. Die Frauen verlasen die Namen der bei Femiziden ermordeten Frauen und kritisierten in Redebeiträge die patriarchale Justiz, welche Täter schütze und Frauen, die sich selbst verteidigen, kriminalisiere. Gleichzeitig warfen die Frauen dem Regime vor, den ganzen Haushalt auf den Krieg ausgerichtet zu haben, während keine Mittel für Frauen, für das Leben und die Natur bereitgestellt würden. Mit Parolen wie „Keine Katastrophe, sondern ein Massaker“ richteten sich die Frauen auch gegen die Politik der Regierung, durch die die Zahl von Todesopfern bei den Erdbeben im Februar massiv gestiegen ist, und die ausbleibende Hilfe, die dazu führte, dass viele Menschen unter den Trümmern und in der Kälte starben.

Polizei hau ab, die Straßen sind unser“

Die Frauen stießen unter anderem in Cihangir auf Polizeiabsperrungen, waren jedoch entschlossen, zum Taksim zu laufen. Der in Karaköy gestartete Flügel der Demonstration überwand unter Parolen die Polizeiabsperrungen und vereinte sich in Cihangir mit dem Rest der Demonstrant:innen unter der Parole „Polizei hau ab, die Straßen sind unser“.

Das menschliche Leben liegt dem Regime nicht im Geringsten am Herzen“

Die nun vereinte Demonstration zog unter der kurdischen Parole „Jin Jiyan Azadî“ weiter in Richtung Taksim. Die Polizei hatte alle Straßen in Richtung des Platzes blockiert. Während die Frauen an den Absperrungen warteten, sprachen Remziye Alparslan von der Frauenbewegung TJA auf Kurdisch und Ece Zelal Alma auf Türkisch im Namen der Veranstalterinnen. Alma unterstrich, dass das Regime für die katastrophalen Folgen der Erdbebenkatastrophe vom 6. Februar, bei der offiziellen Zählungen mehr als 50.000 Menschen getötet wurden, verantwortlich sei, und sagte: „Diejenigen, die die Natur und die Städte um des Profits Willen ruiniert haben, haben mit der Art und Weise, wie sie auf die Katastrophe reagierten, gezeigt, dass ihnen das menschliche Leben nicht im Geringsten am Herzen liegt. Sie versuchten, die Solidarität zu kriminalisieren und die Menschen gegeneinander aufzubringen, indem sie die Menschen, die für die Solidarität mit den Erdbebenopfern mobilisierten, mit Polizei bedrohten und verfolgten. Wir Frauen kennen die Missachtung von Menschenleben, die Unfähigkeit des Staates, Krisen zu bewältigen und seiner Verantwortung gerecht zu werden, sowie die Folgen davon sehr gut.“

Aufstand, Solidarität und Widerstand“

Alma rief zum gemeinsamen Kampf gegen die patriarchale Gewalt und das System auf und fuhr fort: „Wir sind hier, um uns gemeinsam gegen jede Art von Gewalt aufzulehnen, Solidarität zu zeigen, Widerstand zu leisten und unser Leben als ein Leben in Gerechtigkeit und Gleichheit aufzubauen. Wir geben unseren Kampf, unser Leben, uns selbst und unser Ziel des Aufbaus einer feministischen Welt niemals auf. Wir sind wütend, wir trauern, wir sind hier, wir gehen nicht weg. Wir sind in der feministischer Revolte gegen die patriarchal-kapitalistische Zerstörung“

Polizeiübergriffe und Festnahmen

Nach den Redebeiträgen zogen die Frauen mit Parolen wie „Wir schweigen nicht, wir geben nicht nach“ und „Macht die Absperrungen auf“ in Richtung Polizeiabsperrungen. Die Polizei griff die Frauen mit Pfefferspray an. Die Frauen verteidigten sich und einigen gelang es, der Polizei Schilde und Helme zu entreißen.

Daraufhin kam es zu einem massiven Polizeiangriff und gewaltsamen Festnahmen. Hunderte Frauen wurden eingekesselt und weiter mit Tränengas angegriffen und geschlagen. Dutzende weitere wurden festgenommen. Etlichen Frauen der Sozialistischen Frauenbewegung gelang es, auf der Istiklal Caddesi am Taksim zu demonstrieren. Sie wurden von der Polizei angegriffen und fünf von ihnen wurden festgenommen.

Demonstration in Ankara

Dem Aufruf der Frauenplattform Ankara und des Organisationskomitees der Feministischen Nachtdemonstration folgend versammelten sich auch in Ankara Tausende Frauen. Die Frauen erinnerten an die Erdbebenopfer und skandierten „Keine Katastrophe, das war Mord, der Staat wird zur Rechenschaft gezogen werden“ und „Wir werden den profitorientierten Staat zerschlagen“. Gleichzeitig nahmen die Frauen mit Parolen wie „Frauen wollen keinen Krieg“ Bezug auf die Kriegspolitik des türkischen Staates und riefen immer wieder „Jin Jiyan Azadî“.

„Die Regierung ist für den Tod von Zehntausenden verantwortlich“

In einem Redebeitrag wurde die Regierung direkt für den Tod von den vielen Tausend Menschen verantwortlich gemacht: „Durch die Schließung der Grenzen nach Syrien und ihrem Versuch, die Hilfe für Frauen und Mädchen in Syrien zu verhindern, hat die Regierung den Tod von Zehntausenden Menschen zu verantworten. Hunderttausende Menschen haben ihre Ehepartner, Kinder, Angehörige, Häuser, Dörfer und Städte verloren. Der Staat hat nicht auf die Warnungen der Wissenschaftler gehört, er hat die Berichte seiner eigenen Institutionen ignoriert und sich nicht politisch für das Leben und Überleben eingesetzt. Wir werden für den Profit und die Machtambitionen der Herrschenden und des Kapitals ermordet. Doch wir wissen, dass wir die Dunkelheit, die uns der patriarchale Staat auferlegt hat, mit Solidarität erhellen und ein gleichberechtigtes, freies und sicheres Leben gemeinsam erblühen lassen werden.“ In dem Beitrag wurde unterstrichen, dass die Solidarität mit Erdbebenopfern vom türkischen Staat kriminalisiert wurde. Weiter hieß es: „Wir werden diejenigen, die das Erdbeben in ein Massaker verwandelt haben und für das gewaltige Ausmaß der Zerstörung verantwortlich sind, zur Rechenschaft ziehen.“

Die Polizei versuchte auch hier, die Frauen mit Absperrungen aufzuhalten, aber sie überwanden die Sperren und zogen lautstark durch die Hauptstadt der Türkei.

Nachtdemonstration in Izmir

Unter ähnlichen Vorzeichen versammelten sich auch in Izmir Tausende Frauen, unter ihnen Friedensmütter und HDP-Abgeordnete, zur sechsten Nachtdemonstration zum Frauenkampftag. Die Demonstration wurde von einem Transparent mit der Aufschrift: „Kein Schicksal, sondern patriarchaler Kapitalismus“ angeführt. Auf Plakaten auf Kurdisch und Türkisch wurde zum gemeinsamen Kampf gegen das Patriarchat aufgerufen. Gleichzeitig trugen Frauen Bilder der im Oktober 2022 vom türkischen Geheimdienst ermordeten Jineolojî-Forscherin und Aktivistin Nagihan Akarsel und der HDP-Mitarbeiterin Deniz Poyraz, die bei einem Angriff eines türkischen Faschisten auf die HDP-Zentrale in Izmir im Juni 2021 ermordet wurde. Die Demonstrant:innen entzündeten Kerzen für die Erdbebenopfer.

Demonstrationen auch in vielen Städten der Ägäisregion

Auch in Bodrum, Menteşe, Marmaris, Datça in Muğla, Efeler und Kuşadası in Aydın sowie in Denizli, Manisa und Balıkesir gingen Frauen auf die Straße und forderten den Rücktritt des Regimes vor dem Hintergrund ihres Umgangs mit der Erdbebenkatastrophe.