Als Teil der Kampagnen „Women Defend Rojava“ und „Defend Kurdistan“ wendet sich die feministische Organisierung „Gemeinsam Kämpfen! Für Selbstbestimmung und Demokratische Autonomie“ mit einem dringenden Appell zu Solidarität und Aktionen für die Verteidigung der Menschen in Kurdistan und der Revolution in Rojava an die Öffentlichkeit:
Der türkische Sicherheitsrat hat Ende Mai einer Militäroffensive in Nord- und Ostsyrien/Rojava zugestimmt, während ohnehin tagtäglich Bomben, Drohnen und Artillerie Menschen töten und die Infrastruktur des Landes zerstören. Als Ziele wurden das direkt an Efrîn grenzende selbstverwaltete Gebiet Şehba mit der Stadt Tel Rifat und die multiethnische, mehrheitlich arabische Großstadt Minbic, östlich von Kobanê, genannt. Beide Gebiete liegen in der Region westlich des Euphrat, deren Schutzmacht Russland ist. Ein erneuter türkischer Angriff bedeutet eine große humanitäre Katastrophe für die Region und schweres Leid für die Bevölkerung.
Hier und da gibt es auch in der Öffentlichkeit leise Stimmen, dass Erdoğan zu weit gehe. Diese beziehen sich allerdings häufig eher auf die NATO-Beitrittsblockade gegen Schweden und Finnland als auf Menschenrechte, das Völkerrecht oder letztlich das Genfer Abkommen.
Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat bereits 2018 (WD 2 – 3000 – 183/18) erklärt, dass „die türkische Militärpräsenz in der nordsyrischen Region Afrin sowie in der Region um Azaz, al-Bab und Dscharablus im Norden Syriens völkerrechtlich alle Kriterien einer militärischen Besatzung“ erfüllen. Das Pentagon veröffentlichte kürzlich einen Bericht, der klarstellt, dass das militärische Vorgehen des türkischen Staates in den kurdischen Gebieten massiv den Kampf gegen die Überreste des „IS“ gefährde und zu dessen Reorganisierung beitrage. Noch immer gibt es überhaupt keine Konsequenzen, ein Aufschrei bleibt aus. Die NATO-Staaten werden nichts unternehmen, es sei denn der Druck ist entsprechend hoch, wie 2014 beim Angriff des „IS“ auf Kobanê.
Daher wiederholen wir uns:
Es ist inakzeptabel, dass die Medien und die Weltöffentlichkeit schweigend zusehen, wie ein Vernichtungskrieg gegen die Kurd:innen geführt wird! Zunehmend zeigt der türkische Staat sein faschistisches Gesicht, wodurch die Möglichkeit einer politischen Lösung des Konflikts immer weiter in die Ferne rückt. Es gibt keine freie Presse mehr, zehntausende Oppositionelle sind in Haft, Wahlen werden gefälscht. In diesem Moment finden in drei Teilen Kurdistans zeitgleich militärische Angriffe der Türkei auf einem extrem hohen Niveau statt.
Mit dieser türkischen Regierung sollte kein Staat, kein Unternehmen, keine Institution gute Beziehungen aufrechterhalten. Deutschland ist zurzeit der wichtigste politische und wirtschaftliche Partner der Türkei.
Internationalismus bedeutet für uns, die Frauenrevolution, die in Nord- und Ostsyrien zum Gesellschaftsmodell wurde, und die in allen Teilen Kurdistans in vielen Formen der freiheitlichen, demokratischen Selbstorganisierung in der Gesellschaft und als Guerilla in den Bergen stattfindet, gemeinsam zu verteidigen. Wir verteidigen damit auch die Inspiration und Zuversicht für den Aufbau einer radikal anderen Welt jenseits von Patriarchat, Kapitalismus und Staat, an der wir auch hier arbeiten.
Menschen in Kurdistan müssen ihre Dörfer verlassen, viele fliehen aus dem Land, immer wieder werden Aktivist:innen durch Drohnenangriffe ermordet. Mit riesigen Mengen Giftgas, Bomben und der Vernichtung der Wälder wird der Guerilla der HPG und YJA Star der seit 40 Jahren etablierte Raum in den Bergen Südkurdistans geraubt. Die Selbstorganisierung und Selbstverteidigung der Ezid:innen in Şengal wird bedroht und militärisch angegriffen. Täglich finden Angriffe auf das Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien/Rojava statt. Die türkische Regierung kündigte an, weitere Gebiete dort zu besetzen. Alle diese Angriffe sehen wir auch als Angriffe auf uns, die wir hier an einer feministischen Alternative zum Bestehenden arbeiten.
Die Krise der bestehenden Ordnung ist überall erkennbar – Ökozide, Klimakrise, Kriege, Pandemien, Feminizide, Fluchtbewegungen, Nahrungskrise, Hunger. Aktuell erleben wir eine rasante Militarisierung und Patriarchalisierung der politischen (Sicherheits-)Diskurse und Praxis. Krieg im Namen von „Frieden“ zu verstärken, radikale Aufrüstung und Waffenlieferungen in Kriegsgebiete sind derzeit eine vermeintliche Selbstverständlichkeit. Sie lässt beinahe keinen Raum für Widerspruch, politische Kontroversen und eine offene Suche nach alternativen Lösungsmöglichkeiten. Die neue, sogenannte "feministische Außenpolitik" bringt auch keine Alternativen, sondern Militarismus und Anbiederung an den despotisch und frauenfeindlich regierenden türkischen Präsidenten.
Die Frauenrevolution in Rojava bedeutet eine Welt, die sich an Werten der kommunal basierten, demokratischen Selbstorganisierung orientiert. Diese können wir auch hier durch unsere feministisch-antimilitaristische Praxis sichtbar machen. So durchbrechen wir die behauptete Alternativlosigkeit patriarchaler und kriegerischer „Lösungen“.
Diese Praxis kann ein Transparent an eurem Haus oder der nächsten Brücke, ein Poster im Fenster, der Flyer in den Briefkästen der Nachbarschaft und auf den Kneipentischen, die Gespräche auf der Arbeit, der Infotisch bei einer Veranstaltung oder in der Fußgängerzone, die Aktion vor dem Tor des nächstgelegenen Rüstungsbetriebes oder Parteibüros, die Organisierung von Kundgebungen, die Veröffentlichung von Artikeln, die Beteiligung an zentralen Demonstrationen und Protestcamps, der Besuch bei verantwortlichen Politiker:innen, künstlerische Aktionen und alles sein, was euch einfällt. Bleibt mit eurem Unmut nicht allein, sucht Verbündete und werdet gemeinsam aktiv. Organisiert euch feministisch, beteiligt euch an Aktionen der kurdischen Bewegung und von Women Defend Rojava.
Jeden Tag können und sollten Aktivitäten stattfinden.
Zusammen mit Defend Kurdistan und Women Defend Rojava rufen wir zum dezentralen Aktionstag am 11. Juni 2022 auf.
Am 25. Juni 2022 wird es eine bundesweite Demonstration gegen den Angriffskrieg der Türkei in Düsseldorf geben. Busse fahren von vielen Städten.
Gemeinsam mit den Menschen in Kurdistan gegen Krieg, Imperialismus und Patriarchat und für ein geschlechterbefreites, selbstbestimmtes, ökologisches Leben kämpfen - eine andere Welt ist möglich!