Am 24. Mai 1982 verbrannte sich die Lyrikerin Semra Ertan in Hamburg an der Straßenkreuzung Simon-von-Utrecht-Straße / Detlev-Bremer-Straße aus Protest gegen den Rassismus in Deutschland. Zwei Tage später verstarb sie. Bis sich 2018 eine Initiative zum Gedenken an Semra Ertan gründete, war ihr Tod weitgehend in Vergessenheit geraten. Für viele Menschen auf St. Pauli ist das erschreckend. Eine junge Frau setzt ein dramatisches Zeichen gegen Rassismus, appelliert an die Medien und schon wenige Jahre später ist ihr Tod nur noch wenigen bekannt.
Die Familie von Semra Ertan war in den 1960er Jahren nach Hamburg gekommen. Bei der Gedenkveranstaltung im letzten Jahr hatte ihre Schwester Zuhal berichtet, dass Semra Ertan angesichts der Ausgrenzung und des Rassismus verzweifelt gewesen sei. Sie wollte ein Licht, einer Fackel sein, gegen blinden Hass und Pogromstimmung. Semra Ertan habe bis zum letzten Moment ihres Lebens Gedichte geschrieben. Vor ihrem Freitod hatte sie gegenüber dem NDR und dem ZDF ein Statement abgegeben:
„Ich möchte, dass Ausländer nicht nur das Recht haben, wie Menschen zu leben, sondern auch das Recht haben, wie Menschen behandelt zu werden. Das ist alles.“
In diesem Jahr gab es angesichts der aktuellen Situation nur eine kleine Kundgebung. Es wurden Gedichte und Grußbotschaften abgespielt und ein vorläufiger Gedenkort wurde eingerichtet. Auf St. Pauli waren zahlreiche Fahnen mit Semra Ertans Gedichten aufgehängt worden.
In einem Aufruf der „Initiative Semra Ertan“ zum Gedenken an die Lyrikerin heißt es: „Vom 24. bis 26. Mai 2020 gedenken wir der Dichterin, Bauzeichnerin und Dolmetscherin Semra Ertan.
Semra Ertan war politisch aktiv – demonstrierte unter anderem gegen die NPD-Tarnliste ‚Hamburger Liste für Ausländerstopp‘, die 1982 zur Bürgerschaftswahl antrat. Sie setzte sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein. Sie war auch Dichterin – schrieb über 350 Gedichte und Satiren. In vielen ihrer Werke bringt sie ihre politischen Perspektiven ein, prangert die rassistische Strukturierung der Gesellschaft an und fordert auf, Widerstand dagegen zu leisten.
Um die Erinnerung an Semra Ertan und ihr poetisches Werk am Leben zu erhalten und in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen, werden wir am Sonntag, dem 24. Mai, an dieser Kreuzung eine vorläufige Gedenktafel installieren. Von 12 bis 18 Uhr werden wir vor Ort sein.
Die Installation des vorläufigen Gedenkortes wird bis Dienstagabend, dem 26. Mai, aufgebaut bleiben. Wir laden euch ein vorbeizukommen und Semra Ertan – auch unter den gegebenen Umständen – auf eure persönliche Art zu gedenken“.
Am Dienstag wird noch von 19 bis 20 Uhr im Freien Radiosender Kombinat Hamburg mit Redebeiträgen, Gedichten und Musik an Semra Ertan erinnert. In Hamburg auf 93,0 MHz Antenne, auf 101,4 MHz im Kabel, digital per DAB+ und im Stream auf http://www.fsk-hh.org.
Die „Initiative Semra Ertan“ fordert zudem die Benennung einer Straße sowie das Anbringen einer Gedenktafel in Erinnerung an Semra Ertan:
Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.
„Ich will, dass die Menschen sich lieben und akzeptieren.
Und ich will, dass sie über meinen Tod nachdenken.“ (Semra Ertan 1982)