Die Aktivistin Esin Kavruk ist in der Türkei wegen der Forderung „Nein zum Krieg” zu einer fast zweijährigen Haftstrafe verurteilt worden. Kavruk hatte sich in Beiträgen in sozialen Netzwerken entschieden gegen den völkerrechtswidrigen Angriff der Türkei auf Nordsyrien und Rojava positioniert und war zwei Tage nach Beginn der Invasion wegen Terrorvorwürfen in Istanbul verhaftet worden. Nach rund dreieinhalb Monaten in Untersuchungshaft wurde sie am ersten Verhandlungstag am 23. Januar gegen Meldeauflagen aus dem Gefängnis entlassen. Am Freitag wurde Kavruk, die Gewerkschaftsaktivistin bei DISK (Konföderation der Revolutionären Arbeitergewerkschaften der Türkei) ist und sich zugleich für den Demokratischen Kongress der Völker (HDK) engagiert, vor der 36. Strafkammer des Schwurgerichts Istanbul wegen „Terrorpropaganda” zu einem Jahr, zehn Monaten und 15 Tagen Haft verurteilt. Vom Vorwurf der „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation” sprach sie das Gericht frei.
Im Gerichtssaal persönlich anwesend war Kavruk nicht. Die Aktivistin ließ sich von der Rechtsanwältin Gülizar Tuncer vertreten, die eine schriftliche Verteidigung ihrer Mandantin einreichte. Auf sechs Seiten äußerte Kavruk, dass sie angeklagt sei, weil sie den Frieden verteidigt habe und sich jederzeit wieder gegen den Krieg positionieren werde. Die Aktivistin wies auf das von der AKP-Regierung geschaffene Angstklima im Land hin und prangerte an, dass Gesetze als Mittel zur Unterdrückung der Opposition eingesetzt und Andersdenkende als Terroristen verunglimpft werden. Vor den Gerichten würden keine juristischen sondern politische Entscheidungen getroffen. Die Sicherheitsbehörden stuften alle Personen, die Frieden fordern, als Staatsfeinde ein. Alle Kriegsgegner seien somit potenziell in Gefahr, von der Justiz ruhiggestellt oder inhaftiert zu werden.
„Ich bin gegen Krieg. Millionen von Menschen sind es, sowohl weltweit als auch in diesem Land. Niemand kann dazu verpflichtet werden, die Ansichten dieser Regierung zu teilen, ihre Kriegspolitik gutzuheißen oder sie zu unterstützen. Ich habe kein Verständnis für diesen Krieg, ich bin entschieden gegen ihn und die eingesetzten Phosphorbomben”, heißt es unter anderem in der Verteidigungsschrift.
Für DNA-Entnahme aus Gefängnis verschleppt
Im November hatte ANF berichtet, dass eine Gefangene im Istanbuler Frauengefängnis Bakirköy zur DNA-Entnahme in ein Krankenhaus verschleppt wurde. Dabei handelte es sich um Esin Kavruk. Nach ihrer Überstellung in die Haftanstalt am 11. Oktober vergangenen Jahres erwirkte die Staatsanwaltschaft auf Betreiben der Polizei bei der 5. Strafabteilung des Amtsgerichts Istanbul einen richterlichen Beschluss für eine DNA-Entnahme, um sie mit „Datensätzen von biologischen Tatortspuren aus bisher nicht aufgeklärten Ermittlungen” zu vergleichen. Der Beschluss war eindeutig illegal, da nur Beschuldigten einer Straftat von erheblicher Bedeutung oder einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung verdächtigten Personen zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters Körperzellen entnommen und untersucht werden können. Gegen Kavruk hingegen wurde „lediglich” wegen Terrorpropaganda ermittelt.
An der Zellenstürmung im Frauengefängnis Bakirköy hatten sich rund 100 Polizisten und Soldaten beteiligt. Kavruks Anwältin Gülizar Tuncer berichtete damals: „Alle 16 Insassinnen wurden getreten und an den Haaren über den Boden geschleift. Die Zelle wurde durchsucht und verwüstet, außerdem wurden Bücher und andere Gegenstände der Frauen beschlagnahmt. Nachdem sie gewaltsam aus ihrer Gemeinschaftszelle gezerrt worden waren, verbrachten sie mehr als fünf Stunden in Einzelzellen.” Die Gefangene Dilek Geçgin war durch einen gezielten Tritt in den Genitalbereich verletzt worden. Ihre Mitgefangene Zeynep Gerçek erlitt massive Verletzungen am Rücken.
Auch Esin Kavruk wurde in den Rücken getreten. Das Sondereinsatzkommando brachte sie in ein Krankenhaus, wo sie von Beamten der Antiterrorpolizei an Ärzte der Gerichtsmedizin übergeben wurde. Wenige Wochen zuvor war Kavruk schon mal für eine DNA-Entnahme in ein Krankenhaus gebracht worden. Sie weigerte sich, eine Blut- und Speichelprobe abzugeben, sodass die DNA-Identitätsfeststellung nicht durchgeführt werden konnte. Da die Polizei aber nicht locker ließ, liegt die Vermutung nahe, dass Kavruk eine Straftat angehängt werden soll. Unüblich ist das in der Türkei nicht.