Im Norden von Frankreich ist gestern das Treffen mit Teilnehmenden der zapatistischen „Reise für das Leben“ für alle kämpfenden Frauen, Trans, Inter und Nicht-binäre (FLINT*) des Anderen Europas eröffnet worden. Rund 2.000 Menschen reisten hierfür in die Verteidigungszone „La ZAD“ (Zone à Défrendre) in Nantes. Die ersten beiden Tage des Treffens finden im autonomen FLINT*-Rahmen statt. Darauf folgen weitere drei Tage mit allen Geschlechtern.
Aus ganz Europa sind in den letzten Tagen FLINT* in die Region gereist, um sich miteinander auszutauschen und zu vernetzen. Unter ihnen sind auch Aktivistinnen der feministischen Organisierung „Gemeinsam Kämpfen – Für Selbstbestimmung und Autonomie“ aus Celle und Berlin sowie Mitglieder des Jineolojî-Zemtrums Brüssel. Für die ersten beiden Tage stehen Präsentationen sowie Diskussionen, Ausstellungen und verschiedene Kulturveranstaltungen wie Performances auf dem Programm. Unter anderem wollen sich die FLINT* mit Themen wie Jineoloĵi, Demokratischer Weltfrauenkonföderalismus, Kritik am neoliberalen Feminismus und Migration, aber auch gemeinsamen Körperaktivitäten widmen.
Die Erfahrungen der zapatistischen Frauen in der Selbstverwaltung und auch die Entwicklung der eigenen Bildungseinrichtung, der „kleinen Schule“, werden miteinander geteilt. Der Anlass ist das europaweite Treffen, welches mit der zapatistischen Delegation „Reise für das Leben“ geplant wurde. Nachdem sich zunächst der mexikanische Staat geweigert hatte, den Delegationsteilnehmenden die notwendigen Papiere auszustellen, weigert sich nun der französische Staat, ihnen die Einreise zu gewähren. In den letzten Tagen finden diesbezüglich europaweit Proteste statt mit der Forderung, die Reise für das Leben in Europa herzlich willkommen zu heißen.
Bereits vor über zwei Monaten trat eine kleine Gruppe von Zapatist:innen erfolgreich den Weg über den Atlantik per Segelschiff an. Fünf von ihnen nehmen als Teil der Reise nun an dem Treffen in der Verteidigungszone in Nantes teil, „um zuzuhören“ wie sie sagen.
Die Menschen im ZAD, einem 1.650 Hektar großen Areal, das 2007 aus Widerstand gegen einen geplanten Großflughafen besetzt wurde und seit dem immer wieder politische Veranstaltungen austrägt, ermöglichen dieses großartige Zusammentreffen und heißen alle Aktiven des Europas von unten herzlich willkommen. Mehrere Jahrzehnte lang war die Region durch den geplanten Flughafenbau bedroht, wogegen sich lokal von Beginn an entschiedener Widerstand regte, der schließlich vor vierzehn Jahren in die Besetzung und den Aufbau selbstorganisierter Strukturen mündete. Nach harten Abwehrkämpfen gegen brutale Räumungsattacken durch den französischen Staat, insbesondere in den Jahren 2012 und 2018, wurden nach und nach einige wenige Projekte nach Vereinbarungen mit dem Staat legalisiert und der Bau des Flughafens endgültig abgesagt.
In der Eröffnungsrede, die in den Sprachen Spanisch, Französisch und Englisch vorgetragen wurde, ist auf diese Widerstandsgeschichte des Ortes Bezug genommen worden: „Heute sind wir hier in La ZAD, einem Gebiet der Verteidigung; in einem Territorium, welches Widerstand symbolisiert, die Verteidigung von Land und Leben und damit die Verteidigung vieler Lebensformen […] Ohne ein Territorium, gibt es keine Autonomie und ohne Autonomie gibt es keine Kollektivität.“
Selbstbestimmte Arbeit statt Ausbeutung durch Chefs
Anschließend hieran stellten alle Zapatist:innen sich vor, grüßten die Teilnehmenden und wünschten ein erfolgreiches und spannendes Zusammentreffen. Unter dem Titel „Kritik am neoliberalen Feminismus“ präsentierte eine migrantische Referentin ihre Forschung zu neoliberalen Arbeitsverhältnissen, Spaltungen zwischen Frauen und nötigen Alternativen. Anhand der Situation migrantischer Service-Arbeiterinnen aus Lateinamerika in Berlin, die beispielsweise als Putzkräfte oder Haushaltshilfen ihr Einkommen verdienen, zeigte sie auf, wie Geschlechterverhältnisse bzw. Sexismen verbunden mit Rassismus und Klassenunterdrückung analysiert werden müssen und Alternativen aufzubauen sind.
Wie neoliberale Arbeitsverhältnisse die Hierarchien und Spaltungen zwischen Frauen verschärfen, erklärte sie am Beispiel der migrantischen Haushaltshilfen, die in Mittel- und Oberschichtshaushalten weißer Frauen beschäftigt werden. Durch diese hierarchische Arbeitsteilung ist es den weißen Frauen erst möglich unter den Bedingungen des neoliberalen Arbeitslebens beispielsweise als Akademikerin eine berufliche „Selbstverwirklichung“ zu verfolgen. Diese Ausbeutung verschärfe sich durch schlechte, verzögerte oder ausbleibende Bezahlung.
Neoliberale Verhältnisse können dabei nicht auf ein ökonomisches oder Klassenprojekt reduziert werden. Vielmehr sind sie u.a. durch Konkurrenz, auch unter Frauen und weiteren Unterdrückten, Individualisierung, Selbstkontrolle und permanente Selbstoptimierung zu Human-Kapital zu charakterisieren.
Als Alternative wurde auf indigenes Wissen verwiesen, beispielsweise das Konzept des Buen Vivir (Gutes Leben), sowie drei Arbeitsbegriffe vorgestellt, die die indigene Sprache Tzotzil unterscheidet: 1. A‘mtel, Arbeit für dich selbst oder deine Community, über die du selber entscheidest, 2. Pak‘ak‘al, der alltägliche Austausch von Unterstützung für andere und 3. Kanal, Arbeit des Kolonialismus, Neoliberalismus und der Ausbeutung, gegen Bezahlung und für einen Chef. Die Bedeutung dieser alternativen Begriffe für gegenwärtige soziale Bewegungen und Kämpfe um Neugestaltungen waren leider nicht mehr Teil des Vortrags und der Diskussion. „Uns als Frauen und nicht-binäre Personen als Teil neoliberaler Verhältnisse zu analysieren ist wichtig“, sagte eine Teilnehmerin nach dem Ende der Veranstaltung und ergänzte „Noch wichtiger ist der Widerstand dagegen, dies ist unsere aller Aufgabe.“