Erinnerungen an Zeynep Amanos

Vor einem Jahr ist die Guerillakämpferin Zeynep Amanos (Zahide Şimşek) im Widerstand von Heftanîn ums Leben gekommen. Ihre Freundin Amara Dorşîn erinnert an sie.

Heute vor einem Jahr ist die Guerillakämpferin Zeynep Amanos im Kampf gegen die türkische Armee in der südkurdischen Region Heftanîn ums Leben gekommen. Ihre Freundin und Weggefährtin Amara Dorşîn erinnert an sie.

Liebe Hevala Zeynep,

heute, zu deinem Todestag möchte ich dir ein Bild malen, ein Bild voller Erinnerungen, welche du in mir hinterlassen hast.

Bei unserem ersten Zusammentreffen hast du dir von mir ein Bild gewünscht. Du hast dir gewünscht, dass ich dir ein „Hêlîn“ (Nest) zwischen zwei Ästen zeichne. Du hattest eine klare Vorstellung, wie dieses Nest aussehen soll. Ich versuche es hiermit, in Gedenken an dich, erneut zu zeichnen.

Ein Nest, hoch in den Lüften, vermittelt ein Gefühl von Geborgenheit und dies hast du mir von Anfang an gegeben. Hêlîn trägt auch die Bedeutung „hêlanê“ von „schaukeln“ in sich. Vielleicht war es die Kraft der Worte, die beide Bedeutungen in deiner Persönlichkeit miteinander verband. Heute bin ich mir aufgrund unserer damaligen Sprachbarriere gar nicht mehr sicher, ob du dir vielleicht nicht doch eine Schaukel, die zwischen den Ästen schwingt, auf dem Bild gewünscht hattest. Doch heute kann ich mit Sicherheit sagen, dass gerade die Zweideutigkeit des Wortes Hêlîn eine Vielfalt in sich trägt, wie du sie verkörpert hast.

© Amara Dorşîn

Du warst es, die mir damals die tiefe Bedeutung des Wortes „sebir“ (Geduld) beigebracht hat. Du hast mir einerseits die Geborgenheit von „hêlîn“ (Nest) geschenkt und mir andererseits die Vielfalt der kurdischen Sprache in die Wiege gelegt. Denn alles bewegt sich hêlanê und hat somit auch die Kraft, sich zu verändern.

Sowohl mit deinem Wunsch eines gezeichneten Hêlîn, als auch mit dem Wort sebir hast du mir die Gewissheit gegeben, dass wir alles erreichen können, wenn wir denn den Glauben an Veränderung und die Leichtigkeit des Seins nie verlieren. Die Geborgenheit und die Schaukel in einem – das warst du, Hevala Zeynep, das Kind in dir nie vergessend, und doch die Ernsthaftigkeit im Kampf verfolgend. Ein Gleichgewicht und doch mit der Schwingung die Schwerkraft überwindend. In deinem Rhythmus wollen wir mitschwingen: Die Richtung und das Ziel stets vor Augen, und doch mal näher und mal weiter weg, mal vorwärts, mal zurück, aber immer in der Schwingung bleibend. Den Abstand nutzend, um zu reflektieren und erneut mit Schwung das Ziel ins Auge zu fassen. Mal schwungvoll und dynamisch, mal ausgeglichen statisch, dafür aber stetig. Genau wie deine Stimme, wenn du uns abends vor dem Einschlafen „Dengê Zerdeşt“ vorgesungen hast, mal laut und klar, mal leise und gefühlsbetont.

Dein größter Wunsch war es immer, in die Gever-Berge zu gehen, darauf hast du dich stark konzentriert und dich in deiner Zielgenauigkeit und Treffsicherheit stets weiter gebildet. In deinen Augen war die Freude klar wie Wasser. Nichts hätte dich jemals aufhalten können, genau wie das Wasser, womit die Guerilla ihren Tee braut. Als du die kleine Mundharmonika an meinem Rucksack entdecktest, funkelten deine Augen wie die eines Kindes. Wann immer dir danach war, brachtest du aus diesen sieben Tönen die schönsten Klänge hervor, so als wäre es ein Klavier mit 88 Tasten.

Von dir bekam ich eine Murmel geschenkt. Du meintest, ich solle sie mir bei Schwierigkeiten einfach vor die Augen halten, denn durch eine Murmel betrachtet sehe die Welt gleich ganz anders aus.

Diese spielerischen Momente, diese Vielschichtigkeit deines Wissens, das du mit uns geteilt hast, und deine unauslöschliche Kraft sind es, die dein Echo bis weit über die Gipfel Heftanîns tragen und dessen Schwingungen weit darüber hinaus auf Widerhall stoßen.

Dein Bild werden wir niemals vergessen: „Ev der Heftanînê“ (hier ist Heftanîn):

Die Blüte der Würde, 

die Kraft der Erde, 

die Essenz des Lebens, 

die Schönheit der Liebe, 

die Geduld des Werdens…

Ein Gleichgewicht.

Das Nest – ein Zuhause der Hoffnung, Die Schaukel – der Prozess der Veränderung!

Şehîd namirin!

© Amara Dorşîn