Eindrücke von der Eröffnung der Kurdischen Frauenbibliothek in Silêmanî

Eine Gruppe junger Frauen aus Deutschland folgte der Einladung, zur Eröffnung der Kurdischen Frauenbibliothek mit Archiv und Forschungszentrum nach Silêmanî zu reisen und damit die internationalen Verbindungen feministischer Kämpfe zu stärken.

Wenige Wochen vor der Eröffnung der Kurdischen Frauenbibliothek mit Archiv und Forschungszentrum erreichte in Deutschland das Jineolojî-Komitee und die feministische Organisierung „Gemeinsam Kämpfen“ die Einladung aus der südkurdischen Metropole Silêmanî, zu den Eröffnungsfeierlichkeiten dorthin zu reisen.

Besonders seit der Ermordung von Nagihan Akarsel durch den türkischen Nachrichtendienst MIT im Herbst vergangenen Jahres erhielt das Projekt der Kurdischen Frauenbibliothek mit Archiv und Forschungszentrum innerhalb internationalistischer und feministischer Strukturen in Deutschland mehr Präsenz. Akarsel war im Oktober auf dem Weg zu dem von ihr ausgewählten Objekt für die Bibliothek, welches im Stadtzentrum von Silêmanî liegt – und aus Sicherheitsgründen nach der Ermordung gewechselt wurde – auf offener Straße erschossen worden. Dieser Feminizid bewegt bis heute alle, die an der Bibliothek mitgewirkt haben, und die Eröffnungsfeierlichkeiten waren maßgeblich vom Gedenken an sie geprägt. Nagihan Akarsel forschte im Bereich der Jineolojî, der Wissenschaft von und über die Frau und das Leben. In den Ende Juni eröffneten Räumlichkeiten gibt es nun einen Gedenkort für sie, mit einem Porträt von ihr und Platz für Kerzen. Das steht dafür, dass die Geschichte nicht fertig geschrieben ist, sondern wir heute aktiv daran mitarbeiten und Nagihan Akarsel als eine Vorreiterin der Jineolojî nicht vergessen wird.


Nagihan Akarsel ist eine von sechs Personen, die seit September 2021 in der Kurdistan-Region Irak ermordet wurden. Als Ziel der Angriffe des türkischen Geheimdienstes und der Parastin, dem Nachrichtendienst der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK), traf es sie als Jineolojî-Forscherin und andere kurdische Aktivisten und Intellektuelle, wie zuletzt Hüseyin Arasan. Außerdem wurden in der Zeit, die die deutschen Aktivistinnen in Silêmanî verbrachten, immer wieder die Namen der zuletzt in Rojava Ermordeten genannt und ihre Bilder gezeigt: Yusra Derwêş, Lîman Şiwêş und Firat Tuma. Das zeigt deutlich die praktische Verbindung zwischen den politischen Kämpfen in Başûr (Südkurdistan) und in Rojava (Westkurdistan).

Internationalistische und feministische Verbundenheit

Die Verbundenheit, die die in Deutschland organisierten Frauen bereits mit der Jineolojî und dem Freiheitskampf der Frauen in Kurdistan spürten, und die Überzeugung von der Wichtigkeit, Solidarität praktisch werden zu lassen sowie die bestehenden internationalistischen Verbindungsstränge zu stärken, waren Gründe für die Entscheidung, der Einladung nach Silêmanî nachzukommen. Was grenz- und kulturenübergreifend ein verbindender Moment ist, ist der Bezug auf den demokratischen Konföderalismus und die darin enthaltene Notwendigkeit der feministisch autonomen Organisierung. In Deutschland gibt es ebenso eine Geschichte einer autonomen Organisierung in der Frauenbewegung der letzten Jahrzehnte und das Verständnis darüber, aus feministischer Perspektive die Geschichtsschreibung zu erneuern, erweitern und die männlich dominierte Perspektive zu überwinden. Die Jineolojî stellt auch für die europäische Realität ein Werkzeug dar, die tiefen Wurzeln der widerständigen Geschichte von Frauen und weiteren widerständigen Geschlechtern wie trans und nicht-binären Personen zu erreichen und wieder aufzudecken.


Eröffnungsfeierlichkeiten

Am Samstag, dem 24. Juni fand in der Tawar Hall, einem Ort in Silêmanî, welcher oft auch für Kunstausstellungen genutzt wird, eine feierliche Eröffnungsveranstaltung statt. In dem festlich geschmückten Saal voller Fernsehkameras entstanden bereits die ersten angeregten Gespräche zwischen Teilnehmenden, bevor das Programm mit einer Schweigeminute begann. Gulan Bahtiyar vom Leitungsausschuss des Frauenforschungszentrums hielt die Begrüßungsansprache. Weiter wurde ein Video gezeigt, welches die Notwendigkeit des Projekts aufrollt mit dem Beginn der Geschichtsschreibung in Mesopotamien. Darin wurden die ermordete Nagihan Akarsel, die Arbeiten von ihr und den weiteren Frauen für die Bibliothek und die Jineolojî-Forschung vorgestellt und weltweite Solidaritätsbekundungen gezeigt. Es folgten kulturell musikalische Beiträge und zum Schluss beendeten einige Frauen aus dem Publikum das Bühnenprogramm kraftvoll mit „Jin Jiyan Azadî“-Rufen. Abgerundet wurde die Veranstaltung durch etliche Gruppenfotos, auf welchen die Frauen in teilweise festlichster kultureller Bekleidung zu sehen sind, und einem Austausch zwischen allen Teilnehmenden der Eröffnung.

Am Sonntag darauf wurde in anderem Rahmen, aber mit ebenso viel Medienpräsenz und traditioneller Kleidung, der Ort der Kurdischen Frauenbibliothek mit Archiv und Forschungszentrum geöffnet. Ein rotes Band an der Eingangstür wurde symbolisch durchgeschnitten und mit fröhlicher Aufregung strömten alle Anwesenden in die Räumlichkeiten. Dort hielten einige Frauen Reden über die Bedeutung der Arbeiten in und für die Bibliothek und auch die international und aus allen Teilen Kurdistans angereisten Gäste stellten sich und ihre Verbindung zu dem Projekt vor.


Die in Vorbereitung auf die Eröffnungsfeierlichkeiten gemeinsam verfasste Rede der jungen Internationalist:innen aus Deutschland stellte ihre Organisierung in Deutschland vor und benannte die Kurdische Frauenbibliothek mit Archiv und Forschungszentrum in Silêmanî als wichtigen Knotenpunkt in dem Netz weltweiter Verbindungen zwischen feministischen und Frauenkämpfen, welches es zu verweben gilt. Außerdem thematisierten sie die Bedeutung der Jineolojî im deutschen Kontext und betonten die Verbindung, die es aus der Geschichte der Gesellschaft mit Mesopotamien und damit den heutigen kurdischen Gebieten gibt.


Jineolojî und demokratische Moderne in Deutschland

Was die Kurdischen Frauenbibliothek mit Archiv und Forschungszentrum hervorhebt gegenüber uns durch die Universitäten und Schulen geprägten üblichen Vorstellungen von solchen Einrichtungen, ist die Vielfältigkeit der Wissensformen und das Anerkennen von Bedeutung in Bildern über Gegenstände zu Liedern, Sagen und Mythen als widerständige und legitime Wissensquellen. Im Zuge der Eröffnungsfeierlichkeiten wurden der Kurdischen Frauenbibliothek Geschenke überreicht, die selber unterstreichen, wie vielfältig hier Wissen verstanden wird und was anerkannt wird als auszustellendes oder archivierendes Material. So brachten die Frauen aus Deutschland Märchenbücher und ein gemaltes Bild mit, in welchem eine in „Gemeinsam Kämpfen“ organisierte Person Gefühle zur demokratischen Moderne ausdrückt. Dieses sollte dort seinen Platz bekommen, da es sprachübergreifend eine Darstellung dessen ist, worauf sich die kurdischen Frauen vor Ort und Gemeinsam Kämpfen in Deutschland beziehen. Mit der Delegation aus Deutschland zur Eröffnung nach Silêmanî wurde die Verbindung und das Beieinander-Stehen im Kampf gegen patriarchale Dominanz in der Geschichte und heute praktisch gemacht. Weitere Zusammenarbeit wird folgen.