„Die Unterhaltungen waren so intensiv, wie der Tee der Guerilla stark ist“

„Wie Şehîd Sara vertrat auch Ekin Wan eine dieser bunten internationalistischen Farben im Mosaik der kurdischen Guerilla“. - Eine Weggefährtin von Ekin Wan erinnert an die im Mai gefallene Internationalistin.

Ekin Wan, eine Internationalistin, die im Freiheitskampf unsterblich wurde, weil sie den Weg und das Erbe der Freundinnen und Internationalistinnen vor ihr weiterführen und vervollständigen wollte. Ihr größter Wunsch war es, dem Versprechen gerecht zu werden, dass eine Frau nur dann frei ist, wenn alle Frauen auf der Welt befreit sind, und dafür kämpfte sie jeden Tag ihres Lebens.

Ekin Wan ist als Ekin Arslan in Ankara geboren. Sie war keine Kurdin, verstand aber, dass der Sozialismus und die Geschwisterlichkeit der Völker der Weg der Freiheit aller ist und wir nur dadurch die Gesellschaft befreien können. Ekin war aus tiefstem Herzen überzeugt, dass wir die Freiheit nur erreichen können, wenn wir uns zusammenschließen – Schulter an Schulter gegen den AKP-Faschismus! Diese Überzeugung führte sie zu der Philosophie von Abdullah Öcalan, den sie immer tiefer zu verstehen versuchte und deren Suche sie schließlich in die freien Berge Kurdistans führte, wo sie in der Guerilla ihren neuen Namen Ekin Wan angenahm. Warum wollte sie genau diesem Namen Ehre verleihen und unter diesem Namen weiterkämpfen? Şehîd Ekin Wan (Kevser Eltürk) wurde am 10. August 2015 in Gimgim (tr. Varto), einem Distrikt von Mûş, von türkischen Soldaten nicht nur getötet, sondern ihr Leichnam wurde geschändet und der kurdischen Bevölkerung zur Abschreckung zur Schau gestellt. Dieser Moment hatte Ekin Arslan so bewegt, dass sie sich als türkischer Internationalistin den Namen dieser Freundin gegeben hatte, um für ihre Ehre und ihre Freiheit weiterzukämpfen und ihrem Erbe einen noch stärkeren Ausdruck zu verleihen.

Heute haben wir die Nachricht bekommen, dass der faschistische Staat, in deren Nationalität Ekin hinein geboren wurde, ihr das Leben genommen hat. Ekin Wan lebte und beteiligte sich in den letzten fünf Jahren im Kampf um Freiheit in der Frauenguerilla YJA Star und wurde zu einer sehr starken und blühenden Blume, die den internationalistischen Freiheitskampf aller Völker und aller Frauen vertrat. In dem epochalen Widerstand von Avaşîn, Zap und Metîna ist sie am 15. Mai 2022 unsterblich geworden. In den Bergen Kurdistans lernte Ekin Wan gemeinsam mit anderen Internationalistinnen die kurdische Sprache, sie verbrachte einen ganzen Winter gemeinsam mit Şehîd Sara Dorşîn und wollte sich so gerne tiefgründig mit ihr unterhalten, wobei die Sprache nie ein Hindernis darstellte, denn wenn sich zwei Menschen aus tiefem Herzen verbunden fühlen und sich verständigen wollen, gibt es keine Sprachbarriere, die sie zurückhalten kann.

Gerade mit Hevala Sara konnte Ekin viel über Philosophie diskutieren, sie sagte: „Es war ein Glücksfall, denn Sara dachte sehr tiefgründig. Die Unterhaltungen waren so intensiv, wie der Tee der Guerilla stark ist. Bei der Guerilla sind die Unterhaltungen beim Tee schön, wir liebten es, Tee zu trinken und uns zu unterhalten.“

Wie Şehîd Sara vertrat auch Ekin Wan eine dieser bunten internationalistischen Farben im Mosaik der kurdischen Guerilla. In der Fraueneinheit, mit der sie mit Hevala Sara im Winter 2017/2018 war, gab es neben Araberinnen, Engländerinnen und Türkinnen auch Freundinnen, die aus vielen verschiedenen Regionen Kurdistans stammen (Kurmancî, Zaza, Soranî) und mit verschiedenen Religionen aufgewachsen sind (ezidisch, alevitisch). Hevala Ekin beschreibt das in ihren Worten so: Mit Frauen, die aus so unterschiedlichen Kulturen und Völkern kommen, gemeinsam zu leben, zu teilen und zu kämpfen, war für uns alle unglaublich schön. In der Theorie haben wir vielleicht immer schon gesagt, dass der demokratische Konföderalismus der einzige Weg für ein egalitäres, freies Zusammenleben der Frauen, der Völker, in Frieden und Würde ist. Und besonders als Frauen haben wir uns deshalb besonders stark an Öcalans Paradigma von Demokratie, Ökologie und Freiheit der Frau gehalten. Doch in dem Winter, in dem wir zusammen waren, haben wir dies in unserer Bildung im täglichen Leben auch praktisch erfahren. Durch die so starke genossenschaftliche Verbindung von Frauen aus unterschiedlichen Nationen und Religionen haben wir besser verstanden, wie wichtig Öcalans Philosophie, die uns zusammengebracht hat, besonders für uns Frauen ist, und dass wir den Kampf dafür verstärken müssen.“

Ich selbst durfte Ekin Wan im April 2018 kennenlernen. Sie kam direkt auf mich zu und erzählte mir, dass sie den Winter über auch mit einer internationalistischen Freundin zusammen war, und ob ich Hevala Sara kennen würde? Sie erzählte so viele Geschichten und Erlebnisse mit ihr, dass ich in ihr direkt Sara wieder erkennen konnte. Vielleicht war unsere Sprache nicht dieselbe, und unser Kurdisch reichte noch nicht aus, um uns alles im Detail zu erzählen, aber wir verstanden uns, weil unsere Herzen das wollten. Also schrieben wir gemeinsam an einem Brief für Hevala Sara, in dem wir ihr beschrieben, wie wir zueinander gefunden haben und uns alles an sie erinnerte, und wie schön es wäre, wenn wir gerade zu dritt beisammen sitzen könnten, um unsere Fragen und Ideen miteinander zu diskutieren.

Hevala Ekin hatte Archäologie studiert und bevor sie in die Berge kam, arbeitete sie in einer archäologischen Ausgrabungsstätte in Wan. Sie meinte, wie schön wäre es, wenn es in der Guerilla Zeit und die Möglichkeit gäbe, all diese alten Fundstätten, die verschollenen historischen Orte aus der 5000-jährigen Geschichte wieder auszugraben und die Göttinnenkultur jener Zeit in die Hände der YJA Star zu legen, damit wir unsere eigene Geschichte schreiben können. Genau so, wie sich das Abdullah Öcalan für die Frauenbewegung gewünscht hatte … Über solche Bilder phantasierten wir, während mir Ekin ihre Träume mit Hevala Sara verriet: eine internationalistische Fraueneinheit aufzubauen, die gezielt Frauenaktionen durchführt und den Geist der grenzenlosen Guerilla an alle Orte dieser Erde weht, damit auch andere davon inspiriert werden und sich unserem Freiheitskampf anschließen. Damit wollen wir eine Hoffnung für alle Frauen dieser Welt darstellen, sagte mir Hevala Ekin.

Sie besaß so viel Energie, hatte so viele wunderbare Ideen und eine unglaubliche Initiativkraft. Ekin erinnerte sich an einen Ausspruch von Hevala Sara, die einmal zu ihr meinte, dass wir „revolutionäre Scham" empfinden müssten. Dieser Satz sei ihr stets im Kopf geblieben: „Das führte dazu, dass ich mich selbst gegenüber dem revolutionären Leben einmal mehr hinterfragte. Es hat mich gelehrt, beim Leben die Schuldenlast dessen zu spüren, was ich neben dem, was ich getan habe, nicht getan und geschaffen habe.

Und sie führte weiter aus, dass die „bunte Gemeinschaft aus Frauen“ mit der Genossin Sara „eine der schönsten Farben“ war. Dass sie da war, hat die Stimmung von uns Freundinnen, die mit ihr zusammengelebt haben, und der Organisation gehoben. Indem wir die Schönheit des Zusammenlebens entdeckten, haben wir sowohl einander als auch uns selbst besser kennengelernt und das Leben der PKK, die uns zusammengebracht hat, noch stärker verinnerlicht. Wir haben erkannt, wie wir als Frauen leben müssen, die von verschiedenen Orten der Welt für ein gemeinsames Ziel zusammengekommen sind.“

Als sie dies beschrieb und woher sie ihre eigene Kraft nahm, wurde mir klar, wie stark Freundinnen in der YJA Star zusammen wachsen, auch wenn sie nur ein paar Monate zusammen verbringen: In der PKK ist die Ideologie unsere Lebensweise, das Wie unseres Lebens.“ Für sie galt, dass das Gesagte gleichzeitig auch getan werden muss; diese Lebensphilosophie hatte sie von Hevala Sara vorgelebt bekommen, die Theorie und Praxis nicht voneinander getrennt verstand. Wenn das Gesagte nicht umgesetzt wurde, fühlte sie den Widerspruch, sprach ihn an, kritisierte. In der PKK ist nicht wichtig, was du sagst, sondern wie du lebst.

In ihrem Brief sagte sie auch: Wir kämpfen, weil wir, wie der Genosse Kemal Pir sagte, ‚das Leben so sehr lieben, dass wir dafür sterben würden‘. Wir setzen unseren Kampf unter der Führung der Frauen fort. Gegen den Faschismus der Republik Türkei, die das kurdische Volk gegenwärtig mit einem physischen und kulturellen Genozid überzieht, einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dutzende unserer deutschen und internationalistischen Freundinnen und Freunde kämpfen in der kurdischen Freiheitsbewegung für die ganze Menschheit als Guerilla der demokratischen Moderne gemeinsam weiter gegen die kapitalistische Moderne, die jahrtausendealte machtversessene patriarchale Mentalität, den staatlichen Besatzer-Faschismus und den Völkermord.“

Für Ekin ging der Weg nach unserem Zusammentreffen in der Schneiderei der Guerilla weiter. Ich selbst ging in ein anderes Gebiet, weiter weg von Hevala Sara und Hevala Ekin, und deshalb baten wir Sara in unserem gemeinsamen Brief, sich ebenfalls bei uns zu melden, wenn und falls sie an einen neuen Ort kommt, damit der Kontakt zwischen uns nicht ganz abbricht. Und wir schickten ihr ein Lernbuch, mit dem sie ihr Kurdisch noch weiter vertiefen konnte, sodass, wenn wir uns wieder treffen, wir unsere Gedanken auf Kurdisch miteinander teilen können. Aus drei verschiedenen Ländern, mit drei verschiedenen Sprachen, wollten wir uns gerne auf Kurdisch verständigen – eine Sprache, die so lange verboten war, die wir aber nun als Internationalistinnen lernen und die es uns ermöglicht, zu kommunizieren und uns zu verstehen. Das ist in sich selbst schon eine Revolution. Und aus diesem Grund möchte ich euch beiden und allen anderen internationalistischen Gefallenen, die die PKK mit aufgebaut haben und die in der kurdischen Freiheitsbewegung ihre Bestimmung sahen und sich den universellen Gedanken von Abdullah Öcalan verbunden fühlen, sagen, dass es eine Zukunft geben wird, in der wir alle Grenzen überwunden haben werden und die uns der gegenseitigen Verständigung der Völker und der universellen Idee eines bedeutungsvollen Lebens näher bringen wird. Der Mut und die Kraft, die die Gefallenen vor uns vollbracht haben, werden uns leiten, im Kampf um Befreiung das Schöne zu erkennen und diese wertvollen Erinnerungen immer am Leben zu erhalten, weil wir eure Namen tragen und euer Erbe weiter führen werden.