Die türkische Regierung erlebt ihren letzten Winter – Teil 4

Als YJA Star sind wir entschlossen, allen Frauen der Welt die Realität einer Widerstandsform aufzuzeigen, die antisystemische feministische Kämpfe inspiriert und ihre Entwicklung und Organisierung fördert, sagt die Kommandantin Zozan Çewlik.

Im letzten Teil des ANF-Interviews kommentiert Zozan Çewlik, Kommandantin des Hauptquartiers der YJA Star, die Entwicklungen und Errungenschaften des Kampfes der Frauenguerilla unter dem Eindruck des revolutionären Volkskrieges, äußert sich zu einer Jahresbilanz über die Aktionen gegen die türkische Armee und gibt Perspektiven für den weiteren Frauenbefreiungskampf.

Der Umstrukturierungsprozess der Guerilla war gleichzeitig auch eine Phase, in der sich innerhalb des revolutionären Volkskriegs der Frauenbefreiungskampf weiterentwickelte. Wie bewerten Sie die Gewinne und wie definieren Sie die weibliche Haltung, die Sie in früheren Bewertungen als „Göttinnen des Zeitalters“ bezeichnet haben?

Die Guerilla der YJA Star blickt auf ein starkes Erbe an Freiheit und wertvolle Vorreiterinnen zurück. Wir können den sich entfaltenden Freiheitskampf und die Guerillabewegung freier Frauen nicht unabhängig von den Bemühungen unserer Vorkämpferinnen, dem Preis, den sie bezahlt haben, dem Schmerz, den sie erlitten und den Schwierigkeiten, die sie erlebten, analysieren. Unser heutiges Dasein verdanken wir Frauen wie Sara, Bêrîtan, Zîlan und Sema. Sie sind die Quelle unseres Lebens und unseres Kampfes. Die erzielten Glanzleistungen und das Wirken für Frauen sind von unglaublichem Wert und wirklich bedeutsam. Unsere Kommandantinnen und Kämpferinnen zögerten nicht, Verantwortung für den historischen und strategischen Krieg zu übernehmen und ihn zu führen. Sie hatten eine lebendige, kreative, produktive, flüssige und dynamische Teilhabe. In vielen Bereichen waren es unsere Freundinnen, die Verantwortung für den Krieg übernahmen, Aktionen mit weiblicher Besonnenheit planten und diese mit ihrer Eigenkraft scharfsinnig ausführten. Ob im Zagros-Gebirge, am Fuße des Cîlo, auf den Gipfel des Cûdî, in den Bergen Dersims, auf den Wiesen in Tendûrek oder in Botan, Amed, Metîna, Heftanîn, Xakurke, Gever, Garzan und Mêrdîn – die Frauenguerilla YJA Star verteidigte überall ihre Positionen und bewies mit ihrer Praxis, dass sie sich mit Leidenschaft der Linie des freien Lebens verschrieben hat. 2021 war für uns gleichzeitig auch ein Jahr, in dem die freie Frauenguerilla unter dem Eindruck des revolutionären Volkskrieges an mehr Anschaulichkeit gewann, viel aktiver agierte und das System des freien Lebens und der Organisierung konstituierte.

Diese Gewinne sind selbstverständlich nicht vom Himmel gefallen. Viele wertvolle Weggefährtinnen haben in diesem Kampf ihr Leben gelassen. Die schönsten Töchter und Söhne dieses Volkes haben sich unserer Sache gewidmet. Freundinnen wie Nûjîn Koçer, Nûjîn Êrs, Hilal Goran, Diljîn Marya, Nuda Sason, Sozdar Qamişlo und Şîlan Goyî, die sich in unserem Krieg für Würde und Freiheit entfalteten, die Guerilla personifizierten und den revolutionären Volkskrieg kommandierten, sind gefallen. Diese mutigen Frauen sind die Göttinnen dieses Zeitalters, Gottheiten der Selbstverteidigung. Göttin zu sein bedeutet, kreativ, konstruktiv, beweglich, mitreißend und führend zu sein. Diese und viele weitere Eigenschaften haben diese Frauen in sich vereint. Eine weitere Realität unseres Krieges ist jene Tatsache, dass jeder Kampf seine eigenen Kommandierenden hervorbringt. Unser Vorsitzender stellte schon vor Jahrzehnten fest, dass Krieg unglaublich konstruktiv ist. Junge Freundinnen wie Adife Kanîreş, Veroz Ovacık, Eylem Zewkan, Sozdar Kerboran und Delal Muş, die eigentlich nur wenige Jahre in der Partei verbracht hatten, reiften durch ihre gestalterische Haltung im Krieg, ihrer Wut und dem Zorn gegenüber dem Feind, die sie in schweren Schlägen zum Ausdruck brachten, früh zu Kommandantinnen heran. Sie waren fest von der Führung, den Gefallenen, dem freundschaftlichen Zusammenhalt und als Ausdruck all dessen von der Linie der Frauenbefreiungsideologie überzeugt und blieben ihr bis zuletzt treu. Dass der Widerstandswille dieser Freundinnen angesichts allen nur erdenklichen Tendenzen des Feindes so enorm ausgeprägt war, ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass sie sich durch die von der PKK und PAJK vorgegebenen Maßstäbe für eine militante Persönlichkeit auszeichneten. Sie verspürten die Bande ihrer Freundschaft genauso stark wie die Intensität der Vernichtungsabsicht gegenüber der Führung und Bewegung und machten sich zu Schutzschilden gegen diese Angriffe. Die Teilnahme von Frauen mit ihrer Identität und ihrem Willen am Akt der Neuschöpfung einer Nation auf der Grundlage von Freiheit ist die Unbezwingbarkeit und der Erfolg dieser Nation. Dies hat sich in der Realität Kurdistans gezeigt. Mit der Entwicklung der Guerillabewegung der freien Frau hat das Restrukturierungsprojekt eine Dimension gewonnen, die konkretere Ideen und Konzepte zur Realisierung dieses Ziels hervorbrachte. Diese Tatsache sollte im Hinblick auf den Freiheitskampf der Frauen als eine sehr wichtige Entwicklung bewertet werden.

Neben den Entwicklungen gibt es aber auch gewisse Aspekte, denen wir hinterherhinken und die wir noch überwinden müssen. Als eines der schwierigsten Probleme der Geschichte gestaltet sich die Frage des Selbstbestimmungsrechts des kurdischen Volkes, die wiederum die noch komplexere Frage der Geschlechtergerechtigkeit hervorbringt. Die Kultur freier Geschlechterverhältnisse, die wir aufbauen wollen, und das neue Verständnis von Leben und Beziehungen in eine Tradition zu formen, erfordert eine kontinuierliche und konzentrierte Anstrengung und entsprechende Kämpfe. Als Frauenguerilla YJA Star sind wir bis zum Äußersten entschlossen, die Hoffnung aller Frauen der Welt zu sein und die Realität einer Widerstandsform aufzuzeigen, die antisystemische feministische Kämpfe inspiriert und ihre Entwicklung und Organisierung fördert. Wir haben jedoch noch kein ausreichendes Niveau entwickelt, um Räume zu schaffen, in denen alle Frauen vor der Gewalt von Männern, dem Staat, der Armee und Ehepartnern geschützt werden, eine alternative Plattform für ihre Kämpfe bieten und als Atem für Freiheit wirken. Uns ist es bislang nicht gelungen, unsere Selbstverteidigungsnetzwerke so weit auszubauen, dass sie alle Frauen erreichen und ihre Bedürfnisse als Quelle des Vertrauens und der Hoffnung mit der Dimension der freien Frauenguerilla ansprechen. Natürlich kann nicht geleugnet werden, dass es in dieser Hinsicht große Fortschritte, Entwicklungen und Errungenschaften gab und gibt. Wenn wir jedoch unser Hauptziel, die Realität des faschistischen Systems, das wir überwinden müssen, und den Organisationsgrad in den Blick nehmen, sehen wir, dass unsere Praxis unbefriedigend ist.

Wie sieht die Bilanz über Aktionen der YJA Star für 2021 aus?

Konkret sind folgende Daten und Fakten festzuhalten:

* 114 Freundinnen sind im Kampf gefallen.

* Fünf Kämpferinnen sind in Gefangenschaft geraten.

* Die Gesamtzahl der Aktionen beträgt 116, die sich im Einzelnen zusammensetzen aus;

- 25 Guerillasabotagen

- 22 Sniper-Aktionen

- 24 Angriffe mit schweren Waffen

- 13 Angriffe mit Spezialwaffen

- 2 Infiltrierungsaktionen

- 1 Überfall

- 1 Hinterhalt

Die restlichen Aktionen wurden mittels Thermalwaffen, mittelschweren Gewehren und leichten Handfeuerwaffen durchgeführt.

Die Verluste, die dem Feind durch diese Aktionen zugefügt worden sind, lassen sich wie folgt auflisten:

* Zahl der getöteten Soldaten: 136

* Zahl der getöteten Kontras: 1, zudem zwei getötete Dorfschützer

* Zahl der verletzten Soldaten: 38.

* Zerstörte Personentransporter vom Typ BMC Kirpi: 2

* Vier weitere vernichtete Fahrzeuge: Geländewagen des Typs Amarok (1), Transporter aus der Transit-Baureihe (1), Reo-Militärtransporter (1), LKW (1).

* Zahl der anvisierten und getroffenen Hubschrauber: 5

*Zerstörte Waffen und anderes Rüstungsgerät: Mehrzweck-Maschinengewehr (4), Militärstellungen (17), Funkstation (1), Überwachungskamera (1), Drohne (1), Bagger (1).

Die von den Kräften der YJA Star geschaffenen Werte bilden Ausgangspunkt und Inspiration für Frauen in Mittelost und darüber hinaus. Umso wichtiger sind die Perspektiven, die der kurdische Frauenbefreiungskampf entwickelt hat. Gibt es etwas, das Sie als Botschaft für das neue Jahre den kämpfenden Frauen der Welt übermitteln möchten?

Es bleiben nur noch wenige Tage bis zum Jahreswechsel. Als erstes wünsche ich unserem Vorsitzenden, unserem Volk, allen anderen Gemeinschaften und den Frauen alles Gute im neuen Jahr. Den Gefangenen in den Kerkern wünsche ich Geduld und Kraft. Sie sollen überzeugt davon sein, dass wir sie aus den Mauern befreien werden. Ich selbst bin überzeugt davon, dass das neue Jahr das Jahr der Freiheit für die Völker und Frauen sein wird, und rufe alle Kräfte, die gegen das System kämpfen, auf, sich im Widerstand gegen den Faschismus zu vereinen.

Gewiss sind es Eigenschaften wie unsere Denkweise, unsere Perspektive auf die bevorstehende Zeit, die Bedeutung, die wir ihr beimessen und die Werte, die wir ihr verschaffen, die Veränderungen in einem neuen Jahr bringen. Im Hinblick auf das letzte Jahr gab es Probleme, die wir hinter uns lassen und lösen konnten, aber auch Schwierigkeiten, die weiter bestehen und auf 2022 übertragen werden. Dass unsere Kräfte 2021 einen großen Widerstand geleistet haben, ist eine Tatsache, die von niemandem geleugnet werden kann. Dieser Kampf konnte jedoch die Gefahr für unseren Vorsitzenden und unsere Bewegung nicht vollständig aus dem Weg räumen.

Für den Erfolg ist es unumgänglich, dass der Widerstand nicht einspurig geführt wird. Es ist notwendig, den revolutionären Volkskrieg auch in den Bereichen Politik, Gesellschaft, Diplomatie, Kultur und Medien ins Zentrum des Wirkens zu rücken. Der revolutionäre Volkskrieg ist kein Kampf, der lediglich von der Guerilla getragen wird. Das ganze Jahr über haben wir uns intensiv mit dieser Frage beschäftigt und konnten sie teilweise überwinden. Vor allem die ideologischen Angriffe gegen unsere Bewegung haben zugenommen, sie stehen im Mittelpunkt der Zerschlagungspläne. Daher sollte sich der Kampf in der bevorstehenden Phase durch weitaus ideologischere und reichere Methoden auszeichnend organisieren. Wir erleben keinen Prozess, dem wir uns auf eine gewöhnliche Art annähern können. Daher sollte das neue Jahr mit der Kraft, der Zuversicht und dem Glauben, die wir aus den Errungenschaften unseres Kampfes ziehen, noch viel selbstbewusster angetreten werden.

Als erstes muss festgehalten werden, dass die Situation unseres Vorsitzenden nach wie vor äußerst ernst ist. Die Umsetzung von Maßnahmen und Aktionsformen für seine Befreiung stellt die vorrangige Aufgabe dieser Phase dar. In dieser Hinsicht sollten nicht nur das kurdische Volk oder die kurdischen Frauen aktiv sein. Wir erwarten, dass sich die Völker der Türkei, und sogar die Völker der Welt und die Frauen diesem Kampf anschließen. Die degenerierende Politik der Herrschenden muss demaskiert werden. Unsere Basisorganisationen sollten entsprechend dieser Agenda ihre Organisierung vorantreiben und Aktivitäten durchführen. Die Handlungsweise der Politik; Krieg, Arbeitslosigkeit, Armut, Prostitution, Spitzelanwerbung und Drogensucht den Menschen aufzuzwingen, muss angemessen und zeitnah entlarvt und schnell ein alternativer Ansatz gefunden werden. Wir dürfen eine Politik, die versucht, die Identitätsverleugnung zu vertiefen und unsere sozialen Werte zerstören und beschmutzen will, nicht zulassen. Die rücksichtslose Politik des Faschismus zeigt uns deutlich auf, dass unser Volk und unsere Frauen ihre eigene Sicherheit unbedingt gewährleisten müssen.

Unser Vorsitzender hat in dieser Hinsicht ernstzunehmende Warnungen ausgesprochen. Nicht nur das Bewusstsein für Selbstverteidigung ist von existenzieller Bedeutung, sondern auch die Entwicklung und Organisierung entsprechender Mittel. Die Frauen und Völker müssen sich in allen Bereichen des Lebens organisieren. Für 2022 gilt es, alle unerledigten Aufgaben zu vollenden und unserer unerfüllten Verantwortung nachzukommen. Das Ziel muss sein, dem AKP/MHP-Faschismus sowie allen anderen faschistischen und kolonialistischen Kräften eine Niederlage zuzufügen. In diesem Sinne begegnen wir 2022 mit dem Verlangen, in jedem Fall zu gewinnen, und sind noch selbstbewusster und entschlossener, den Feind in Kurdistan zu bezwingen. Wir sind überzeugt davon, dass der Sieg der kämpfenden Freiheitsguerilla, den Frauen und den Völkern gehören wird.