Demirtaş: Haftdauer Rechtsverletzung, aber keine Freilassung

Der türkische Verfassungsgerichtshof hat entschieden, die Untersuchungshaft gegen Selahattin Demirtaş sei wegen Überschreitung der „angemessenen Dauer“ eine „Rechtsverletzung“, aber dennoch findet keine Freilassung statt.

Der Klage des inhaftierten, ehemaligen Ko-Vorsitzenden der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtaş, wurde vor dem Verfassungsgerichtshof stattgegeben. Demirtaş hatte wegen der Verletzung seiner persönlichen Freiheit durch die Untersuchungshaft geklagt. Es wurden mehrere Klagen gleichzeitig entschieden und die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 2018, in der hieß, Demirtaş müsse umgehend freigelassen werden, einbezogen. Das Gericht gab Demirtaş Recht und urteilte, dass die Untersuchungshaftdauer den „angemessenen Zeitraum“ überschritten habe und damit Artikel 19 der türkischen Verfassung verletze. Das Justizministerium müsse ihm zudem 50.000 TL Entschädigung zahlen. Eine Entlassung von Demirtaş bleibt trotz des juristischen Erfolgs aus, da bereits eine neue Haftentscheidung gegen den kurdischen Politiker besteht.

Anwalt: „Demirtaş muss sofort entlassen werden“

Demirtaş-Anwalt Mahsuni Karaman fordert die sofortige Freilassung seines Mandanten und erklärt: „Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass die Inhaftierung von Demirtaş zwischen dem 4. November 2016 und dem 2. September 2019 den ‚angemessenen Zeitraum‘ überschritten hat, nicht verhältnismäßig und die Fortdauer der Haft unbegründet ist. Darauf begründet das Gericht sein Urteil, es handele sich um eine Rechtsverletzung. Diese Entscheidung wird auch Einfluss auf die zweite Inhaftierung von Demirtaş haben, die am 20. September 2019 beschlossen wurde und immer noch andauert. Der Verfassungsgerichtshof stellte schon damals fest, dass die Inhaftierung Demirtaşs zwischen dem 4. November 2016 und dem 2. September 2019 nicht verhältnismäßig war und eine Rechtsverletzung vorliegt, seine zweite Inhaftierung stützt sich aber auf die selben Vorwürfe. Damit ist nicht nur die erste Inhaftierung, sondern auch die zweite Haftentscheidung illegitim.“

Wegen Kritik an türkischen Massakern in Haft

Der ehemalige Ko-Vorsitzende der HDP ist wegen Reden in seiner damaligen Funktion als Parteivorsitzender während der blutigen Belagerung ganzer Stadtviertel in Nordkurdistan durch türkische Sicherheitskräfte 2015 und 2016 angeklagt. Er hatte das brutale Vorgehen des türkischen Staates scharf kritisiert. Am 2. September 2019 hatte das Gericht überraschend den Haftbefehl gegen Demirtaş aufgehoben. Da er in einem anderen Verfahren bereits zu über vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde, kam er nicht frei. Am 20. September wurde ein neuer Haftbefehl erlassen.