„Es gibt keine Befreiung des Lebens und keine Befreiung der Frau, solange patriarchale und reaktionäre Kräfte sowie Staaten auf Kosten unterdrückter Völker und Zivilist:innen ihre Kriege weiterführen und Leid, Hunger, Vertreibung und Traumata in der Gesellschaft verursachen“, so das Kurdische Frauenbüro für Frieden – Cenî in einer Erklärung zu den Morden in Paris, zum revolutionären Kampf gegen Feminizid und über Frauenbefreiung als einziger Ausweg aus den Krisen. Weiter heißt es dort:
Am 9. Januar 2013, vor elf Jahren, ermordete ein Auftragsmörder des türkischen Geheimdienstes die drei kurdischen Revolutionärinnen Sakine Cansız (Sara), Fidan Doğan (Rojbîn) und Leyla Şaylemez (Ronahî) in Paris. Ihre Ermordung, den wir als einen dreifachen staatlichen Feminizid bezeichnen, verdeutlichte uns ein weiteres Mal, dass der türkische Staat einen speziellen Krieg gegen revolutionäre Frauen führt. Frauen, die den entschlossensten Widerstand gegen den Kapitalismus, gegen Faschismus und gegen Nationalismus leisten. Durch ihre Ermordung wurden nicht nur die Errungenschaften und Erfolge der revolutionären kurdischen Frauenbewegung angegriffen, sondern die gesamte kurdische Gesellschaft sowie kämpfende Frauen auf der ganzen Welt, mit dem Ziel, ihren Widerstandsgeist zu brechen.
Doch der Widerstand und die Proteste, die kurdische Frauen seither unermüdlich fortgesetzt haben, sind nur noch stärker und größer geworden. Die Parole „Jin Jiyan Azadî“ haben wir zehn Jahre lang auf allen Gedenkprotesten für unsere Genossinnen Sara, Rojbîn und Ronahî gerufen. Mit der Ermordung der Kurdin Jîna Amini durch die iranische Sittenpolizei ist diese Parole nochmals durch die Welt gegangen. Sie erinnert uns nicht nur an die Frauen, die durch staatliche Feminizide ermordet wurden. Sie drückt gleichzeitig den Kampfgeist aus, der uns über Ländergrenzen hinaus verbindet. Sie drückt aus, dass die Befreiung der Frau und die Befreiung des Lebens untrennbar sind und zusammengehören.
Die Befreiung des Lebens bedeutet Widerstand gegen jegliche Art von staatlicher Gewalt, Besatzung und Krieg. Denn ebendiese wirken sich besonders verheerend auf Frauen und alle unterdrückten Völker aus. In seinem Vernichtungsfeldzug gegen Kurd:innen greift der türkische Staat Frauen ganz gezielt an – ob politische Gefangene, Aktivistinnen, Kämpferinnen oder Politikerinnen. Die Angriffskriege in Rojava sowie Militäroperationen des türkischen Staates richten sich speziell an führende Figuren der kurdischen Frauenbewegung. Gleichzeitig tragen Frauen, wie in jedem Konflikt und jedem Krieg, das meiste Leid davon. Durch den Aufstieg patriarchaler, faschistischer Gruppen wie den Islamischen Staat (IS), aber auch durch staatliche Unterdrückung und Repressionen steigt das Risiko von Femiziden, patriarchaler und sexualisierter Gewalt.
Es gibt keine Befreiung des Lebens und keine Befreiung der Frau, solange patriarchale und reaktionäre Kräfte sowie Staaten auf Kosten unterdrückter Völker und Zivilist:innen ihre Kriege weiterführen und das Leid, Hunger, Vertreibung und Traumata in der Gesellschaft vergrößern. Wir beobachten das nicht nur in Kurdistan, wo islamistische und faschistische Kräfte sowie Staaten in allen Teilen versuchen, die kurdische (Frauen-)Befreiungsbewegung und die kurdische Gesellschaft zu bekämpfen.
Auch mit Blick auf Palästina sind wir seit Monaten Zeuginnen des blutigen Kriegs der israelischen Armee in Gaza. Die staatliche Gewalt und siedler-koloniale Besatzung durch Israel dauert bereits seit Jahrzehnten an. Das Leid der palästinensischen Bevölkerung hat in den letzten Monaten einen Höhepunkt erreicht. Es werden vor den Augen der ganzen Welt Kriegsverbrechen begangen. Binnen kürzester Zeit wurden in Gaza über 20.000 Zivilist:innen, darunter überwiegend besonders schutzbedürftige, wie Kinder und ältere Menschen, getötet.
Islamistische reaktionäre Gruppen wie die Hamas beenden dieses Leid nicht und können niemals einen Ausweg aus der Krise schaffen. Als Frauen, die für Frieden und Befreiung kämpfen, stehen wir an der Seite der Völker, die unterdrückt werden und Widerstand leisten, und an der Seite der Frauen, die unter diesen Kriegen und der patriarchalen Gewalt am meisten leiden. Ob in Kurdistan oder in Palästina – der Ausweg aus der Krise muss mit der Befreiung aller Unterdrückten und mit der Befreiung der Frau einhergehen. Das gilt genauso für die aktuellen Konflikte und Krisen wie z.B. im Iran, im Sudan oder in Afghanistan.
Als kurdische Frauen wissen wir, dass es ohne eine revolutionäre Alternative und Befreiungsperspektive keine Aussicht auf Frieden gibt und somit keine Aussicht auf die Befreiung der Frau.
Unsere Genossinnen Sara, Rojbîn und Ronahî lebten diese revolutionäre Alternative vor. Sie widmeten ihr Leben dem Befreiungskampf und dem Aufbau einer demokratischen Alternative für den Mittleren Osten, in der Frauen und Minderheiten frei sein, in Frieden leben und am politischen Leben teilhaben können. Sie symbolisierten „Jin Jiyan Azadî“ und damit den Kampf gegen den Kapitalismus und Patriarchat und alle Systeme und Ideologien, die den Menschen unterwerfen.
Es gibt keinen Ausweg aus der Krise ohne Frauenbefreiung – unser Ziel ist die Befreiung des Lebens und der gesamten Gesellschaft. Dieses Versprechen werden wir in Gedenken an unsere Genossinnen hochhalten. Es lebe die internationale revolutionäre Frauensolidarität! Jin Jiyan Azadî!