Celle: Kein Interesse an Zahlen zu geschlechtsspezifischer Gewalt

Anlässlich des Tags gegen Gewalt an Frauen hat die feministische Kampagne „Gemeinsam kämpfen!“ eine Anfrage zu Zahlen von Gewaltdelikten gegen Frauen an Rat und Verwaltung der Stadt Celle gestellt. Eine Antwort blieb mit Verweis auf die Zuständigkeit aus.

„Warum hat die Politik und Verwaltung dieser Stadt kein eigenes Interesse an der Situation von Frauen? Sie hätten diese Zahlen erfragen können“, sagt F. Dahre, Mitglied der Kampagne „Gemeinsam kämpfen! Feministische Organisierung für Selbstbestimmung und Demokratische Autonomie”, nach der Einwohnerfragestunde. Die Frage nach aktuellen Zahlen zu geschlechtsspezifischer Gewalt könne die Verwaltung „beim besten Willen” nicht beantworten. Worte des Ratsvorsitzenden, mit denen er die Fragestellerin am Donnerstag an die Polizei sowie die Staatsanwaltschaft verwies. „Da solltet ihr auf jeden Fall dran bleiben“, bekräftigte eine weitere Bürgerin das Anliegen der Feminist*innen im Anschluss und zog die Verbindung zu einem weiteren Thema, „besonders durch die Zusammenlegung kleinerer Schulen und den Lockdown bekommen wir selbst kaum noch etwas voneinander mit. Geht es den Frauen schlecht, leiden auch die Kinder.“

Am 10. November hatte das Bundeskriminalamt (BKA) die „Kriminalistische Auswertung zu Partnerschaftsgewalt“ für das Jahr 2019 veröffentlicht. Insgesamt sind bezüglich aller betrachteten vollendeten sowie versuchten Straftaten mehr als vier Fünftel der betroffenen Personen („Opfer“) weiblich gelesen. Statistisch gesehen wird fast jeden dritten Tag in Deutschland ein Feminizid von (Ex-)Partnerpersonen begangen, etwa alle drei Stunden erlebt eine weibliche Person innerhalb diesen Rahmens einen sexualisierten Übergriff, sexualisierte Nötigung oder Vergewaltigung. Allein diese Zahlen zeigen bereits das unfassbare Ausmaß patriarchaler Gewalt und deren Normalität. Anzunehmender Weise werden die Zahlen für das Jahr 2020 aufgrund der Kontaktbeschränkungen usw. zur Eindämmung der Sars-CoV-2-Pandemie höher liegen.

Eine diesbezügliche Statistik für Stadt und Landkreis Celle ist nicht auffindbar. Grund genug für die feministische Ortsgruppe, nachzuhaken:

1. Wie viele folgender Straftaten gab es in den letzten zwölf Monaten in der Stadt Celle (und falls möglich auch im Landkreis Celle) innerhalb von Partnerschaften, aufgeschlüsselt nach dem Geschlecht der „Opfer“: Mord und Totschlag; gefährliche Körperverletzung; schwere Körperverletzung; Körperverletzung mit Todesfolge; vorsätzliche einfach Körperverletzung; sex. Übergriff, sex. Nötigung, Vergewaltigung; Freiheitsberaubung; Zuhälterei; Zwangsprostitution?

2. Inwiefern setzen sich der Rat und die Verwaltung der Stadt Celle mit geschlechtsspezifischer Gewalt auseinander/thematisieren dieses gesellschaftliche Problem?

3. Wie unterstützt der Rat und die Verwaltung der Stadt Celle die Frauenhäuser, insbesondere während der Sars-CoV-2-Pandemie?

Nur knapp ein Viertel der Ratsmitglieder der Stadt Celle sind Frauen, bei den Redebeiträgen zu dieser Frage war dieses Geschlechterverhältnis umgekehrt. Die Politiker*innen verwiesen auf die Teilnahme der Verwaltung an dem „Runden Tisch gegen häusliche Gewalt“ sowie auf die Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt. In Bezug auf die erhöhte Gefährdung durch häusliche Gewalt aufgrund der Corona-Krise mit Kontaktbeschränkungen und häuslicher Isolation wurde im Juni ein Antrag an den Sozialausschuss gestellt. Demnach sollte die Verwaltung beauftragt werden, verstärkt Maßnahmen zu ergreifen, um das Kinder- und Jugendwohl sowie das Familienwohl sicher zu stellen. Der Antrag war abgelehnt worden, da die Stadt Celle diese Verantwortung an den Allgemeinen Sozialdienst des Landkreises abgegeben hat. Insgesamt schienen die Politikerinnen darüber einig zu sein, dass das Engagement des Rats zu diesem Thema nicht ausreicht. Ratsfrau Behiye Uca (Die Linke/BSG) stellte für den 25. November 2021 eine öffentliche Fachtagung der Stadt Celle in Aussicht. Bei dieser solle eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Problem der Gewalt gegen Frauen einen Rahmen finden.

„Wir werten die fehlenden Bemühungen diese Zahlen zu erfragen, als Desinteresse“, so Dahre weiter. Die überwiegend männlichen Ratsmitglieder und Mitglieder der Verwaltungsspitze schienen sich nicht betroffen zu fühlen. „Selbstverständlich werden wir nun unsere Anfrage an die Polizei und Staatsanwaltschaft richten. Inwiefern wir dort mit einer Antwort rechnen können, ist uns aber völlig unklar.“