Als Abgeordnete im Gefängnis: „Wie im Film“
Leyla Güven ist weiterhin im Gefängnis, obwohl sie bei den Wahlen in der Türkei im vergangenen Juni zur Abgeordneten der HDP gewählt worden ist. In einem Brief beschreibt sie ihr Gefängnisleben.
Leyla Güven ist weiterhin im Gefängnis, obwohl sie bei den Wahlen in der Türkei im vergangenen Juni zur Abgeordneten der HDP gewählt worden ist. In einem Brief beschreibt sie ihr Gefängnisleben.
Wie es ist, als gewählte Abgeordnete in einem türkischen Gefängnis zu sein, beschreibt Leyla Güven in einem Brief. Sie wurde am 24. Juni als Abgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in die Nationalversammlung der Türkei gewählt und trotz der dadurch entstandenen Immunität nicht aus der Haft im E-Typ-Gefängnis Diyarbakir (Amed) entlassen.
In ihrem von der Frauennachrichtenagentur JinNews veröffentlichten Brief schreibt Leyla Güven:
„Das Parlament ist innerhalb des patriarchalen Systems ein Ort, der mit Männern assoziiert wird. Dank der Frauenpolitik der Parteien, die aus der kurdischen politischen Tradition hervorgegangen sind, hat sich die Anzahl von Frauen im Parlament zumindest ein bisschen erhöht.“ Leider gebe es auch weibliche Abgeordnete, die keinen Frauenstandpunkt vertreten und nur den Ansichten ihres Parteichefs folgen würden, weil dieser sie habe kandidieren lassen, so Leyla Güven weiter. In der HDP stellten Frauen allerdings eine autonome Kraft dar, daher würden viele Entscheidungen innerhalb der Partei von Frauen getroffen. So seien es Frauen, die über die Kandidatinnenaufstellung und die Frauenpolitik bestimmten. „Die Frauen in der HDP haben meine Kandidatur aus dem Gefängnis heraus vorgeschlagen und ich habe eingewilligt, so hat es angefangen. Im Gefängnis Wahlkampf zu führen, ist sehr schwierig, aber es stellte sich heraus, dass in einer Zelle, in der sich dreißig Frauen befinden, alles möglich ist. Stellt Euch vor, in dieser Zelle gibt es Malerinnen, Journalistinnen, Studentinnen, Politikerinnen, Mütter und Arbeiterinnen, einfach alles. So hat eine sehr angeregte Arbeit begonnen. Meine Situation in der Zelle ist von der Malerin Zehra gemalt und von der Journalistin Özlem aufgeschrieben worden.“
Kollektiver Wahlkampf
Der Wahlkampf sei kollektiv geführt worden, führt Leyla Güven weiter aus: „Die Stimmung am Wahlabend, als die Wahlhürde überschritten worden war, war bemerkenswert. Mit Freudentrillern, Tanz und Tränen wurde stundenlang gefeiert. Alle waren glücklich, dass die Kandidatin aus dem Frauenblock gewählt worden war. Es herrschte Begeisterung. Dazu kam noch die Möglichkeit einer Haftentlassung. Immer, wenn ich von einem Anwaltsgespräch zurückkam, wurde ich mit Fragen gelöchert: ‚Wie sieht es aus, gibt es etwas Neues?‘ Am 29. Juni kam meine Anwältin und überreichte mir meine Entlassungspapiere. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. In der Zelle hatte ich die anderen vor übertriebenen Erwartungen gewarnt und gesagt, dass ich sowieso nicht entlassen werde. Deshalb war ich erstaunt.“
Haftbefehl aufgehoben, Einspruch eingelegt, Einspruch stattgegeben
Als Leyla Güven in die Zelle zurückkehrt, kann sie es den Frauen nicht ins Gesicht sagen, dass der Haftbefehl aufgehoben worden ist. Sie zögert noch, da ruft schon die Schließerin von der Tür aus: „Frau Leyla wird entlassen!“ Aus der Zelle dringen Freudentriller. „Dann folgten Freudentränen und herzliche Umarmungen. Ich war glücklich und traurig zugleich. Die anderen freuten sich, aber ich konnte es nicht. Ich konnte nicht glauben, dass das Gericht eine derartig mutige Entscheidung trifft. Kaum eine Stunde später kam meine Anwältin erneut. Es überraschte mich nicht, als sie sagte, die Staatsanwaltschaft habe Einspruch eingelegt. Ich hatte mich keinen Moment lang auf eine Entlassung eingestellt. Meine Anwältin kam ein weiteres Mal, um zu berichten, dass dem Einspruch stattgegeben worden war. Dieses juristische Hin und Her innerhalb weniger Stunden verblüffte alle. So ist es eben, wenn man Abgeordnete im Gefängnis ist.“
Wie im Film
„Eine solche Situation gibt es eigentlich nur in Filmen. Es war so realitätsfern. Man muss es erleben, um es zu glauben. Alle waren geknickt, aber vor allem wütend. Wir legten uns ins Bett und versuchten, diesen rasanten Tag zu vergessen. Viele fragten sich: ‚Wenn dieses System so mit einer gewählten Abgeordneten umgeht, was wird es dann mit uns tun?‘
So begann also mein Abgeordnetendasein im Gefängnis. Die gesamte Zelle fieberte meiner Verhandlung am 11. Juli entgegen. Die meisten gingen davon aus, dass ich bei der Verhandlung entlassen werden würde. Dann erschien noch nicht einmal der vorsitzende Richter vor Gericht. Was hätte er dort auch tun können?
Keine Erwartungen
Für die Fahrt zum Gericht wird Leyla Güven zur Wache gebracht. Dort stellt sie sich vor und informiert die Anwesenden, dass sie als Abgeordnete Immunität genieße und keinesfalls Handschellen anlegen werde. „Sie berieten sich kurz und willigten ein. Ich wurde ohne Handschellen zum Gericht gebracht. Ich konnte mir ausrechnen, was mich vor Gericht erwarten würde, daher forderte ich meine Haftentlassung nicht einmal. Die Richter sollten wissen, dass ich nichts von ihnen erwarte.“
Beritan Canözer / JinNews