In der Türkei sind im Januar mindestens 31 Frauen von Männern aus ihrem Umfeld ermordet worden, 21 weitere Frauen sind unter verdächtigen Umständen ums Leben gekommen. Das geht aus der aktuellen Femizid-Bilanz der Plattform „Wir werden Frauenmorde stoppen“ (KCDP) hervor. Der Bericht der in Istanbul ansässigen Frauenrechtsorganisation enthält Daten über alle polizeilich erfassten oder medial veröffentlichten Morde an Frauen. Die Dunkelziffer dürfte vermutlich höher liegen.
Laut dem Bericht von KCDP sind nahezu alle Femizid-Opfer von gewalttätigen Ehemännern (35 Prozent), Partnern, Ex-Partnern oder männlichen Verwandten wie Vätern und Söhnen getötet worden. In 23 Fällen war das Motiv für die Femizide nicht feststellbar, sechs Frauen wurden ermordet, weil sie über ihr eigenes Leben entscheiden wollten. Konkrete Anlässe waren Scheidungswünsche oder die Ablehnung eines Mannes als Lebenspartner.
Der Report der Plattform führt zudem wieder vor Augen, dass Frauen am wenigsten sicher in ihrem Zuhause sind: fast zwei Drittel der im Vormonat in der Türkei von Männern getöteten Frauen wurden in ihren eigenen vier Wänden ermordet. Sieben weitere Frauen starben durch Männerhand auf der Straße, fünf Frauen wurden an Unterhaltungsorten, auf öffentlichen Plätzen oder im Auto getötet. Als Tatwaffen wurden vor allem Schusswaffen eingesetzt: 19 Frauen wurden erschossen, neun erstochen, weitere zwei erdrosselt. In einem Fall ist die Tatwaffe unbekannt.
KCDP fordert mit Blick auf diese Bilanz, die türkischen Waffengesetze drastisch zu verschärfen, um die private Bewaffnung einzudämmen. Der Erwerb von Waffenlizenzen sei in den vergangenen Jahren erleichtert worden, Strafen für illegalen Besitz fielen viel zu gering aus, kritisiert die Organisation. Und in der Tat: Ein Führungszeugnis und ein ärztliches Attest reichen in der Türkei schon aus, um eine Lizenz für eine Waffe zu erhalten.
Ein weitaus größeres Problem stellt jedoch der illegale Waffenhandel dar. Der Internethandel mit Waffen blüht trotz Wirtschaftskrise, auch wenn er offiziell verboten ist. Mehr als 30 Millionen Pistolen und Gewehre gibt es Schätzungen nach in privaten Händen. Allein zwei Millionen gelangten 2017 in Privatbesitz, als die Regierung von Recep Tayyip Erdogan nach dem Pseudoputschversuch 2016 ihre Anhänger indirekt ermutigt hatte, sich gegen „Staatsfeinde“ zu bewaffnen.
Kadın Cinayetlerini Durduracağız Platformu
Die Plattform Kadın Cinayetlerini Durduracağız ist eine 2010 in Istanbul gegründete Frauenrechtsorganisation, die Gewalt gegen Frauen erfasst und sich zur Aufgabe gemacht hat, öffentlich über Femizide aufzuklären und diese zu verhindern. In erster Linie setzt sich die Plattform für die Erhaltung des Lebens und für alle Frauenrechte ein. Die Gründerinnen sind Familienangehörige der ermordeten Frauen, Frauen von verschiedenen Parteien, Institutionen, Gewerkschaften, anderen Vereinen, aber auch nicht organisierte interessierte Frauen.
Klage für Vereinsverbot abgewiesen
2022 sah sich die Organisation einem Verbotsverfahren ausgesetzt, weil sie nach Ansicht der türkischen Verfolgungsbehörden gegen „Gesetz und Moral“ verstoßen würde. KCDP kritisierte bei dem Prozess an einem Istanbuler Strafgericht, dass es keine rechtliche Grundlage für das Verfahren gebe und die Anklage aus Polizeiprotokollen bestehen würde. Vermeintliche Beweise gegen Aktivistinnen des Vereins seien „falsch und widerrechtlich“, außerdem hätten drei Inspektionen von der Behörde für Vereinswesen keine „illegalen oder unmoralischen Aktivitäten“ festgestellt. Das Verfahren sei politisch und „aus patriarchaler Motivation heraus“ losgetreten worden, um die Gemüter von despotisch handelnden Männern zu erfreuen und ihre Gewaltherrschaft über Frauen zu begünstigen. Im vergangenen September wurde das Verbotsverfahren gegen KCDP mit einer Abweisung der Klage eingestellt.