Wien: Vortrag über demokratischen Konföderalismus

Im Wiener Volkskundemuseum hat eine Veranstaltung zum demokratischen Konföderalismus stattgefunden. Eingeladen hatten der Dachverband der kurdischen Vereine in Österreich und Defend Kurdistan.

Akademie der demokratischen Moderne

Der Dachverband der kurdischen Vereine in Österreich (Feykom) und die Initiative Defend Kurdistan hatten am Mittwochabend zu einer Präsentation über den „demokratischen Konföderalismus als Lösungsperspektive im Nahen Osten“ eingeladen. Veranstaltet wurde das Event im Wiener Volkskundemuseum, wo Ali Firat, Mitglied der Akademie der demokratischen Moderne, als Gastredner auftrat.

Theoretischer Exkurs

Inhaltlich bot der Abend ausführliche Einblicke in die Theorien Abdullah Öcalans, deren Schwerpunkt auf den von ihm in seinen Werken gebrauchten Begriffen wie „demokratischer Konföderalismus“, ebenso aber Erläuterungen des aus seiner Sicht seit Ende des Kalten Krieges tobenden „Dritten Weltkriegs“ lag. Mit diesem Wort benannte Öcalan die Bemühungen kapitalistischer Akteure, ihre Position in diversen Auseinandersetzungen untereinander zu verteidigen. Der neue Weltkrieg sei eine Art Überbau, unter dessen Dach sich unter anderem die heutigen Krisenherde entladen würden, während gleichzeitig zwischen allen Verbindungen herrschen. Die zahlreichen Konflikte müsse man als unvermeidliches Ergebnis kapitalismusimmanenter Prozesse begreifen, die wiederum den Entwurf von Alternativkonzepten notwendig machen.

Status quo oder Revision?

Ali Firat ging weiter auf die Rolle des Nationalstaats in Öcalans Denken ein: Die Frage, ob dieses Modell beibehalten oder einer Revision unterzogen werden solle, taucht in diesem Kontext immer wieder auf. Öcalan zufolge muss der Nationalstaat überwunden werden: er gehöre zweifellos zu den Faktoren, die den „Dritten Weltkrieg“ begünstigten, wobei seine Merkmale (beispielsweise langwierige Kriegsführung niedriger Intensität, flexible Bündnisse, Wirtschaftskriege etc.) detailliert aufgelistet wurden. Das Erscheinen neuer Akteure wie etwa die BRICS-Staaten trage zur Unübersichtlichkeit der globalen Lage bei.

Nationalstaat und Konflikte im Nahen Osten

Im letzten Teil des Vortrags erklärte Firat die Situation im Nahen Osten anhand wirtschaftlicher und geostrategischer Aspekte sowie ihrer konkreten Auswirkungen in der Praxis. Auch bei Öcalan kommt dieser Region aufgrund ihrer schwierigen Geschichte und Gegenwartssituation eine zentrale Rolle zu. Hier habe der ethnienfokussierte Nationalstaat seine zerstörerische Wirkung durch Negation der multikulturellen Gegebenheiten vor Ort am stärksten entfaltet; hier werde das Selbstbestimmungsrecht der Völker – nicht nur am prominentesten Beispiel Kurdistan – am heftigsten verweigert, Demokratisierungbestrebungen werden blutig bekämpft. Vier Ereignisse und Phasen hätten die jüngere Geschichte des Raumes geprägt: der Golfkrieg, die Kriege in Afghanistan und dem Irak, der „Arabische Frühling“ und anhaltende Konflikte um neue Energiekorridore mit China und Indien als neuen großen Mitspielern. Die momentane Situation ergebe eine komplexe Gemengelage aus internationalen Akteuren mit Drang zum Neoliberalismus, regionalen Mächten, die auf dem derzeitigen Status beharren, sowie gesellschaftlichen Kräften, die das Demokratisierungsprojekt mittels Reformen angehen wollen.

Kurdistan als Triebfeder einer neuen Lösung?

Laut Öcalan soll die Abkehr vom Nationalstaat von Kurdistan aus vorangetrieben werden. Dies soll über den Aufbau demokratischer Strukturen „von unten“ erfolgen, die in autonomen Verhältnissen münden. Junge Menschen – besonders Frauen – käme eine Pionierrolle bei der Organisation eigener Gesellschaften zu. Insbesondere Rojava könne als Vorzeigemodell für den „dritten Weg“ zwischen repressivem Staat und reaktionärer Opposition hergenommen werden, so Firat am Ende seiner Präsentation.

Im Anschluss an den Vortrag erfolgten eine Fragerunde und Diskussion.