Bei dem Brand im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran sind nach Angaben der iranischen Justiz mindestens vier Gefangene ums Leben gekommen. Sie seien an Rauchvergiftungen gestorben, hieß es auf der Justiz-Website Misan Online. 61 weitere Menschen seien verletzt worden, einige von ihnen schwer. In dem Gefängnis im Norden Teherans sitzen tausende politische Gefangene ein.
Der Teheraner Staatsanwalt dementierte einen Zusammenhang mit den seit Wochen andauernden Protesten gegen die Führung des Landes, die seit dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini vor einem Monat das Land erfasst haben. Nach offizieller iranischer Darstellung sei „nach einem Streit zwischen Häftlingen“ in einem Werkraum des Gefängnisses Feuer gelegt worden. Die Gefängnisleitung sprach von einer kurzfristigen Meuterei, die Lage sei wieder unter Kontrolle. „Hooligans und Randalierer“ hätten zudem eine Auseinandersetzung mit den Gefängniswärtern begonnen und dann im Textillager einen Brand entfacht. Die Feuerwehr habe ihn aber bereits gelöscht.
Gefangene völlig schutzlos
Demonstrierende und Oppositionelle dementieren, dass der Brand von Insassen gelegt wurde. Sie beschuldigen stattdessen die iranischen Regimebehörden. Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigten, dass sich Darstellungen des Regimes gerade in Zeiten von Krisen und Aufständen stets als unwahr erwiesen hätten. „Die Inhaftierten, darunter zahllose politische Gefangene, sind in diesem Gefängnis völlig schutzlos“, sagte Hadi Ghaemi, Geschäftsführer der in New York ansässigen Menschenrechtsorganisation Center for Human Rights in Iran (CHRI) in einer Mitteilung. „Die iranischen Behörden haben wiederholt gezeigt, dass sie das menschliche Leben völlig missachten, und wir sind äußerst besorgt darüber, dass Gefangene in diesem Moment getötet werden.“ In den Morgenstunden verließen mehrere Krankenwagen und zwei Gefängnisbusse den Evin-Campus. Ob es sich bei den Insassen um die verletzten Gefangenen handelte und wohin sie gebracht worden sind, ist völlig unklar.
Schüsse und Explosionen
Am Samstagabend waren nach Angaben von Zeug:innen mehrere Explosionen und Schüsse aus der Haftanstalt zu hören. Auf tausendfach in den sozialen Netzwerken geteilten Videos sind chaotische Bilder rund um das Gefängnis zu sehen: Viele Gefangenenangehörige eilen aus Sorge vor die „Hölle von Evin“, wie das Internierungslager für Oppositionelle auch genannt wird. Zahlreiche Menschen machen sich zu Fuß auf den Weg dorthin, weil die Polizei die Straßen zu der Haftanstalt abgeriegelt und vermummte Sondereinsatzkräfte in Stellung gebracht hat. Im Hintergrund sind Menschen in den benachbarten Gebäuden zu hören, die „Tod dem Diktator“ skandieren – gemeint ist Irans „Oberster Führer“ Ali Chamenei. Ein von der in Oslo ansässigen Organisation Iran Human Rights gepostetes Video zeigte eine von Autos verstopfte Straße und Zufahrten.
KODAR mobilisiert auf die Straßen
Die ostkurdische Freiheits- und Demokratiebewegung KODAR sprach mit Blick auf die offizielle Schilderung über den Brand im Evin-Gefängnis von einem „Szenario zur Unterdrückung des Volksaufstands“ und rief zu verstärkten Straßenprotesten auf. „Die Gefängnisse sind in den vergangenen 43 Jahren zu Zentren des Widerstands gegen die Unterdrückung durch das Regime geworden. Es sind Orte, an denen Freiheit gefordert wird. Bei den Geschehnissen in der letzten Nacht handelt es sich um eine Fortsetzung des Massakers an politischen Gefangenen im Jahr 1998. Der rebellischen Bevölkerung Irans ist bewusst, dass mit derartigen Terroraktionen Angst verbreitet und der Aufstand niedergeschlagen werden soll.“ KODAR verwies auch auf ähnliche Angriffe am 1. Oktober im Zentralgefängnis von Sine (Sanandadsch) und erklärte, die Maßnahmen richteten sich gegen die politischen Aktivist:innen und alle Frauen und Männer in den Haftanstalten des Landes.
Berüchtigtes Foltergefängnis
Das Evin-Gefängnis im Norden Teherans gilt als Haftanstalt mit den schlimmsten Bedingungen in Iran. Menschenrechtsorganisationen prangern die dortigen Zustände schon seit Jahren als grausam und unmenschlich an. In dem Folterzentrum sitzen tausende politische Gefangene, die teils seit Jahren festgehalten werden. Aber auch zahlreiche Demonstrierende, die in den vergangenen Wochen wegen ihrer Teilnahme an den Protesten gegen das iranische Regime nach dem Tod von Jina Mahsa Amini festgenommen worden waren, befinden sich dort in Geiselhaft.