Türkei: Schlag gegen sozialistische Linke

Nach der Festnahmewelle in Istanbul sind insgesamt 34 Mitglieder der sozialistischen ESP inhaftiert worden. „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ lautet der Vorwurf, der sich auch auf die Verwendung der Parole „Jin Jiyan Azadî“ stützen soll.

Staatliche Repression

Nach der Festnahmewelle Anfang der Woche in Istanbul sind insgesamt 34 Mitglieder der Sozialistischen Partei der Unterdrückten (ESP), ihrer Jugendorganisation SGDF sowie der Sozialistischen Frauenräte (SKM) inhaftiert worden. Wie die Anwaltskanzlei EHB am Freitagabend berichtete, müssen sie sich wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ und „Terrorpropaganda“ verantworten. Unter den Betroffenen befindet sich auch nahezu der gesamte zentrale Parteirat der ESP. Gegen vier weitere Mitglieder wurden juristische Meldeauflagen verhängt.

Ermittlungsverfahren gegen MLKP

Die Istanbuler Polizei hatte am Dienstag insgesamt 41 Mitglieder der ESP, SKM und SGDF in ihren Wohnungen festgenommen sowie die Räumlichkeiten der Stiftung für Wissenschaft, Bildung, Kultur und Kunstforschung (BEKSAV) durchsucht. Laut der Erdoğan‘schen Justiz richtete sich der von der Generalstaatsanwaltschaft Istanbul koordinierte Repressionsschlag gegen die in der Türkei als „Terrororganisation“ verfolgte Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP).

Der ehemalige HDP-Abgeordnete Murat Çepni, der Ko-Vorsitzender der ESP ist, bezeichnete die Verhaftungen seiner Parteigänger:innen am späten Freitagabend vor dem Justizpalast Istanbul als „neuer Akt im politischen Vernichtungsfeldzug gegen die demokratische Opposition“. Er ergänzte: „Die Repressionsmaschinerie kann uns nicht aufhalten. Der Widerstand geht bis zum Sieg über dieses Regime weiter.“ © MA


Zur Parole „Jin Jiyan Azadî“ befragt

Die Anwaltskanzlei EHB teilte mit, dass die Betroffenen von Polizei und Staatsanwaltschaft unter anderem zu Protesten gegen die Einsetzung von Zwangsverwaltern in Rathäusern der Parteien DEM und CHP sowie der Verwendung der Parole „Jin Jiyan Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit) auf diversen Kundgebungen befragt worden seien. Auch seien Fragen zur Teilnahme an Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Anschlags von Pirsûs (tr. Suruç) gestellt worden. Bei dem von einem IS-Attentäter am 20. Juli 2015 inmitten einer Versammlung der SGDF in einem Kulturzentrum verübten Anschlag kamen 33 Menschen ums Leben, über 100 weitere wurden verletzt. Die Polizei soll bei den Razzien auch Fotos der Getöteten von Pirsûs als „beweiserhebliche Gegenstände“ beschlagnahmt haben.

Hausarrest für SKM-Aktivistinnen, Journalistin in U-Haft

Unter den Verhafteten befinden sich neben Vorstandsmitgliedern der ESP auch etliche führende Mitglieder der SKM und SGDF. Unter ihnen sind die ESP-Ko-Vorsitzende Hatice Deniz Aktaş und SKM-Sprecherin Tanya Kara, aber auch die Gewerkschafterin Meliha Kayacı, die Sprecherin der Bewegung vereinter Arbeiter:innen ist, sowie die Journalistin Züleyha Müldür, die für die linke Nachrichtenagentur ETHA arbeitet. Wann mit einer Anklage zu rechnen ist, sei laut ihrem Rechtsbeistand derzeit noch völlig unklar. Zum Fall der 38 Personen, die am Mittwoch bei einem Protest gegen die Festnahmewelle in Istanbul in Gewahrsam genommen worden waren, teilte die Kanzlei EHB ergänzend mit, dass bis auf zwei Aktivistinnen alle Betroffenen auf freien Fuß gesetzt wurden. Gegen Fatma Gülseren und Eylül Lara Sarper von den Sozialistischen Frauenräten ordnete das Gericht allerdings Hausarrest an.