Türkei: Parlament verabschiedet NGO-Gesetz - UPDATE

Im türkischen Parlament ist der Gesetzentwurf zur NGO-Regulierung verabschiedet worden. Damit hat die geplante Demontage der Zivilgesellschaft begonnen.

In der türkischen Nationalversammlung ist das Gesetz zur Regulierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen verabschiedet worden. Keine der von der Opposition vorgeschlagenen Änderungen ist akzeptiert worden. Die Demokratische Partei der Völker (HDP) hatte die Gesetzesvorlage für verfassungswidrig erklärt und als „Demontage der Zivilgesellschaft“ bezeichnet.

In dem Gesetzesentwurf geht es eigentlich um die Umsetzung von Beschlüssen des UN-Sicherheitsrates zur Eindämmung der Finanzierung und Verbreitung von Waffen. Das Gesetz wird jedoch zweckentfremdet, denn der Großteil der Bestimmungen gewährt dem Innenministerium und dem Präsidenten Befugnisse zur Regulierung unabhängiger Gruppen. Expertinnen und Experten warnen bereits seit der Verhaftung des Kulturförderes und Bürgerrechtlers Osman Kavala vor dieser Gesetzesinitiative. 

Das Innenministerium erhält laut Gesetz das Recht, ein Vorstandsmitglied eines Vereins oder einer Stiftung von seiner Position zu suspendieren, wenn gegen die Person wegen Terrorismusvorwürfen Anklage erhoben wird, und einen Zwangsverwalter einsetzen. Darüber hinaus können Aktivitäten der gesamten Organisation ausgesetzt und Gelder eingezogen werden, bis eine Gerichtsentscheidung in dem Fall vorliegt. Der Entwurf lautete zunächst noch, dass ein Verdacht beziehungsweise polizeliche oder staatsanwaltliche Ermittlungen gegen ein Gruppenmitglied ausreichten. Im Vorfeld der Abstimmung brachte die Regierungskoalition selbst einen Änderungsantrag ein. Faktisch ändert diese Formulierung aber nichts, da in den türkischen Strafverfolgungsbehörden wie am Fließband gearbeitet wird, wenn es sich unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung um politisch Verfolgte handelt.   

Der HDP-Abgeordnete für die Provinz Agirî (tr. Ağrı), Abdullah Koç, wies bei der Debatte im Parlament darauf hin, dass es sich bei dem Gesetzesvorhaben um einen schwerwiegenden Eingriff in die Vereinigungsfreiheit und um einen „Putsch gegen die Zivilgesellschaft“ handele. Utku Çakırözer von der CHP zog Parallelen zum Treuhandregime in den kurdischen Rathäusern, in denen Zwangsverwalter anstelle demokratisch gewählter Bürgermeisterinnen und Bürgermeister regieren. Über 630 Nichtregierungsorganisationen haben eine Erklärung gegen das Gesetzesvorhaben unterschrieben, darunter Frauenrechtsverbände, Organisationen zur Flüchtlingshilfe, Gewerkschaften und Berufsverbände wie die Ärztevereinigung.

PACE: Abschreckende Auswirkungen auf Zivilgesellschaft

Auch die Beobachterinnen und Beobachter der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) haben im Vorfeld ihre Besorgnis über neue Einschränkungen für die Zivilgesellschaft geäußert. „Dieses neue Gesetz wäre ein weiterer Schritt in Richtung eines restriktiveren Umfelds für die Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Gruppen und würde zu dem neuen harten Durchgreifen gegen zivilen Dissens und zu früheren Maßnahmen hinzukommen - einschließlich der Verpflichtung für NGOs, den Behörden die Namen ihrer Mitglieder mitzuteilen“, äußerten die Türkei-Berichterstatter Thomas Hammarberg und John Howell sowie Alexandra Louis, PACE-Berichterstatterin für die Beschränkung der Aktivitäten von NGOs in den Mitgliedsstaaten des Europarates, Anfang der Woche in einer gemeinsamen Stellungnahme.