Die Demokratische Partei der Völker (HDP) hat den von der islamistisch-rechtsextremen Regierungskoalition aus AKP und MHP eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung von Beschlüssen des UN-Sicherheitsrates für verfassungswidrig erklärt. In einer Stellungnahme rügt die HDP eine Verletzung der Grundrechte aus Art. 9, 10, 11, 12, 17, 20 der Europäischen Menschenrechtskonvention und sieht auch einen Verstoß gegen das Völkerrecht als gegeben an. Der „weit von universellen Rechtsnormen und demokratischen Kriterien entfernte“ Entwurf stelle im Grunde nichts anderes als ein scharfes Schwert für den Machterhalt der Regierung dar. Statt einer „Verhinderung der Verbreitung der Finanzierung von Massenvernichtungswaffen“, wie es im Titel des Gesetzentwurfes heißt, gehe es de facto um die „Demontage der Zivilgesellschaft“.
Der umstrittene Vorschlag enthält insgesamt 43 Artikel, von denen sich lediglich sechs mit Regelungen zu Abstrafungsmaßnahmen und Kontrollmechanismen gegen Einzelpersonen und Unternehmen befassen, die der Geldwäsche sowie Finanzierung von Massenvernichtungswaffen zu terroristischen Zwecken beschuldigt werden und gegen die der UN-Sicherheitsrat Sanktionen verhängt. Für die HDP stellt darüber hinaus auch die Eile der AKP/MHP-Regierung, den Entwurf äußerst kurzfristig und vor Abschluss der Haushaltsdebatten einzubringen, einen „klaren Ausdruck des böswilligen Ansatzes“ des Regimes dar. Laut der türkischen Geschäftsordnung müssen Gesetzesvorschläge eigentlich mindestens zwei Tage vor den Beratungen den Kommissionsmitgliedern vorgelegt werden.
Kritiker*innen befürchten schon länger, dass das neue Gesetz vollständig zweckentfremdet werden soll. Der gebilligte Entwurf sieht vor, dass der Staatspräsident berechtigt ist, das Einfrieren von Geldern und Vermögen von Beschuldigten in der Türkei anzuordnen. Das Innenministerium und die von der Regierung ernannten Gouverneure erhalten die Befugnis, in Initiativen, Vereine und Stiftungen einzugreifen, sobald gegen ein Vorstandsmitglied eine strafrechtliche Ermittlung unter Terrorismusvorwürfen eingeleitet wird. Sowohl das Innenministerium als auch die Gouverneure wären dann autorisiert, die betroffenen Personen zu suspendieren, die Tätigkeit der Vereinigung lahmzulegen und an ihrer Stelle einen Zwangsverwalter einzusetzen. Die Vereinigungsfreiheit in der Türkei würde somit de facto abgeschafft, der diktatorische Ausnahmezustand gesetzlich verankert. Denn laut dem Entwurf reicht ein Verdacht für eine Sanktion völlig aus.
PACE: Abschreckende Auswirkungen auf Zivilgesellschaft
Auch die Beobachterinnen und Beobachter der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) haben ihre tiefe Besorgnis über mögliche neue Einschränkungen für die Zivilgesellschaft geäußert. „Dieses neue Gesetz wäre ein weiterer Schritt in Richtung eines restriktiveren Umfelds für die Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Gruppen und würde zu dem neuen harten Durchgreifen gegen zivilen Dissens, das die Versammlung in ihrer Resolution 2347 (2020) verurteilt hat, und zu früheren Maßnahmen hinzukommen - einschließlich der Verpflichtung für NGOs, den Behörden die Namen ihrer Mitglieder mitzuteilen“, äußerten die Türkei-Berichterstatter Thomas Hammarberg und John Howell sowie Alexandra Louis, PACE-Berichterstatterin für die Beschränkung der Aktivitäten von NGOs in den Mitgliedsstaaten des Europarates, am Montag in einer gemeinsamen Stellungnahme.
Funktionieren der Gesellschaft wird untergraben
Das türkische Parlament wird darin aufgefordert, Abstand zu nehmen von einer übereilten Verabschiedung und während des Gesetzgebungsverfahrens sorgfältig darauf zu achten, dass es den Standards des Europarats entspricht, um erhebliche schädliche und abschreckende Auswirkungen auf zivilgesellschaftliche Organisationen zu vermeiden. „Sollte das umstrittene Gesetz verabschiedet werden, würde es die NGOs gefährden und die Grundlagen des demokratischen Funktionierens der türkischen Gesellschaft weiter untergraben“, mahnen die Berichterstatter*innen.