Türkei: Vereinigungsfreiheit wird de facto abgeschafft

Der Rechtsausschuss des türkischen Parlaments hat einen Gesetzentwurf zur Umsetzung von Beschlüssen des UN-Sicherheitsrats gebilligt. Nur wenige Regelungen betreffen das offizielle Ziel, de facto geht es um die Abschaffung der Vereinigungsfreiheit.

Der Rechtsausschuss des türkischen Parlaments hat einen Gesetzentwurf zur Umsetzung von Beschlüssen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in der Türkei auf den Weg gebracht. Der Vorschlag mit dem Titel „Gesetzentwurf zur Verhinderung der weiteren Verbreitung der Finanzierung von Massenvernichtungswaffen“ beinhaltet Regelungen zu Abstrafungsmaßnahmen und Kontrollmechanismen gegen Einzelpersonen und Unternehmen, die der Finanzierung von Massenvernichtungswaffen zu terroristischen Zwecken beschuldigt werden und gegen die der UN-Sicherheitsrat Sanktionen verhängt. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass der Staatspräsident in diesem Fall berechtigt ist, das Einfrieren von Geldern und Vermögen der Betroffenen in der Türkei anzuordnen.

Doch wie Kritiker schon länger befürchten, soll das neue Gesetz vollständig zweckentfremdet werden. Denn der gebilligte Entwurf sieht darüber hinaus vor, dass das Innenministerium und die von der Regierung ernannten Gouverneure die Befugnis erhalten, in Initiativen, Vereine und Stiftungen einzugreifen, sobald gegen ein Vorstandsmitglied eine strafrechtliche Ermittlung unter Terrorismusvorwürfen eingeleitet wird. Sowohl das Innenministerium als auch die Gouverneure wären dann autorisiert, die betroffenen Personen zu suspendieren, die Tätigkeit der Vereinigung lahmzulegen und, „sollte es für erforderlich erachtet werden“, einen Zwangsverwalter einzusetzen. Die Vereinigungsfreiheit in der Türkei würde somit de facto abgeschafft, der diktatorische Ausnahmezustand gesetzlich verankert. Denn laut dem Entwurf reicht ein Verdacht für eine Sanktion völlig aus.

Der Rechtsausschuss in der türkischen Nationalversammlung

„Mit diesem Verwaltungsakt erleben wir eine neue Dimension des Treuhandregimes“, kritisiert der HDP-Abgeordnete für die Provinz Agirî, Abdullah Koç. Nach der faktischen Abschaffung der Kommunalpolitik in den kurdischen Regionen des Landes sowie des passiven und aktiven Wahlrechts und der damit einhergehenden Absetzung und Inhaftierung von gewählten Mandatsträger*innen, denen ohne zwingenden Grund oder Beweise terroristische Aktivitäten vorgeworfen werden, stelle das Gesetzesvorhaben einen „Putsch gegen die Zivilgesellschaft“ dar. „Wir müssen uns nur vor Augen führen, wie häufig in diesem Land sogenannte Terrorverfahren eingeleitet werden. Von diesem Standpunkt aus betrachtet setzt die vom Regime anvisierte Bevollmächtigung des Innenministeriums und seiner Gouverneure die Vereinigungsfreiheit vollständig außer Kraft.“ Die Zivilgesellschaft sei seit dem Militärputsch vom 12. September 1980 der einzige „sichere Hafen“, wo sich Menschen in der Türkei Schutz suchten. „Dieser wird ihnen mit dem Gesetz nun genommen“, so Koç. Der Vorschlag beinhaltet 43 Artikel, von denen sich nur sechs der Bekämpfung der Finanzierung von Massenvernichtungswaffen widmen. Die restlichen 37 Regelungen betreffen die Vereinigungsfreiheit.