Die türkischen Behörden haben die Abschiebung von sieben syrischen Flüchtlingen angeordnet, die ein Video von sich beim Essen von Bananen in digitalen Netzwerken geteilt hatten. Hintergrund ist eine Kontroverse, wer sich die Paradiesfeigen leisten kann. Elf Syrer:innen seien wegen „provokativer Beiträge“ und des Verdachts der Volksverhetzung beziehungsweise Beleidigung festgenommen worden, in sieben Fällen wurde die Abschiebung bereits eingeleitet, teilte die Migrationsbehörde am Mittwochabend mit. Auslöser war eine Straßenumfrage, bei der sich ein Türke beschwert hatte, dass sich Syrerinnen und Syrer im Land mehr leisten könnten als Einheimische.
„Ich kann keine Bananen essen, ihr kauft kiloweise Bananen“
Bei der Umfrage vom 17. Oktober im Istanbuler Bezirk Esenyurt beschwert sich ein türkischer Staatsbürger darüber, dass Geflüchtete angesichts der wirtschaftlichen Probleme im Land komfortabler leben könnten als sie selbst. „Ihr lebt komfortabler. Ich kann keine Bananen essen, ihr kauft kiloweise Bananen“, sagt der Mann in dem Video gegenüber einer syrischen Studentin. Eine Frau steht ihm bei und beschwert sich, dass Menschen aus Syrien in der Türkei opulent leben würden, anstatt in ihrem Herkunftsland zu kämpfen.
Insgesamt 31 Personen seien von der Polizei ermittelt worden, die Videos ins Netz gestellt hätten, in denen sie demonstrativ Bananen essen und die Aufnahme mit den Zitaten aus der Straßenumfrage unterlegen. Im Zuge von zwei provinzweiten Operationen wurden elf Beschuldigte festgesetzt. Zwei weitere seien kürzlich in die Niederlande ausgereist, sieben Geflüchtete befänden sich außerhalb von Istanbul. Nach elf Beschuldigten in der Bosporus-Metropole werde mit Hochdruck gefahndet.
HDP: Vorgehen der Behörden bereitet Boden für Lynchangriffe
Die HDP zeigte sich empört und verurteilte das Vorgehen der türkischen Behörden. „Geflüchtete und Migrant:innen, die in diesem Land ohnehin all ihrer politischen, juristischen und ökonomischen Rechte beraubt sind, werden als ‚in Saus und Braus lebende Parasiten‘ dargestellt, die die Mittel der Bürger:innen aufbrauchen würden. Diese Feindpropaganda gegen Zugewanderte, die unter Sklavenbedingungen beschäftigt werden, deren Arbeitskraft ausgebeutet wird und die nicht einmal eine Existenzsicherung besitzen, bereitet den Boden für neue Lynchangriffe“, kritisierte die HDP-Kommission für Flucht und Migration.
„Die Migrationsbehörde erfindet Straftaten wie das Essen von Bananen zu provokativen Zwecken, um sich der Flüchtlinge zu entledigen, statt sich ihrer Probleme anzunehmen“, heißt es in der Stellungnahme von Gülsüm Ağaoğlu und Veli Saçılık, den Ko-Sprecher:innen der Kommission. Die angekündigte Abschiebung von syrischen Geflüchteten sei ein „außergewöhnliches Beispiel für den willkürlichen Umgang mit den Rechten von Migrant:innen“. Auch Geflüchtete und Eingewanderte hätten das Recht, sich an der laufenden Debatte zu beteiligen, ihre Ansichten zu äußern und Kritik zu formulieren.
Verbrechen gegen das Recht auf Leben
„Wir sprechen hier von grundlegenden Menschenrechten, die durch die Verfassung und internationale Konventionen garantiert werden. Die Abschiebung von Menschen, die Gebrauch von ihren Grundrechten machen, ist rechtswidrig. Es darf nicht sein, dass Geflüchtete unter dem Vorwand von ‚provokativen Bananen-Videos‘ in den sicheren Tod nach Syrien geschickt werden, einem Land, in dem ein Krieg tobt, an dem die Türkei beteiligt ist und ihn sogar anheizt. Diese Aktion stellt eindeutig ein Verbrechen gegen das Recht auf Leben und die grundlegenden Menschenrechte dar.“
Methodik: Nationalistische Gefühle hochkochen lassen
Die Türkei befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise. Die Inflation lag zuletzt bei fast 20 Prozent, die nationale Währung Lira ist auf ein Rekordtief gefallen und hat im Jahresvergleich ein Fünftel ihres Wertes verloren. Ein Ende der Misere ist nicht in Sicht. Die Folge: Die Zustimmungswerte für Staatschef Recep Tayyip Erdoğan sinken deutlich. Zwei Jahre vor den Präsidentschaftswahlen wird nun eine künstliche Krise nach der anderen in Szene gesetzt, mit der sich das türkische Regime zu retten und das reale Dilemma zu verschleiern versucht. Für seinen Machterhalt brauche Erdoğan handhabbare Krisen – etwa wie zuletzt beim sogenannten Botschafterstreit. Am einfachsten gelingt die Vertröstung seiner Anhänger:innen über Defizite und Zwangslagen durch das Hochkochen von nationalistischen Gefühlen und der Polarisierung der Gesellschaft.