Todesfasten in der Türkei: Schrei nach Gerechtigkeit

Die Rechtsanwältin Ebru Timtik ist seit 157 Tagen in einem türkischen Gefängnis im Todesfasten. Ihre Tante Sultan Kaya unterstützt die Forderung der Todesfastenden nach einem gerechten Gerichtsverfahren.

Die Rechtsanwält*innen Ebru Timtik und Aytaç Ünsal vom Rechtsbüro des Volkes (HHB) befinden sich seit Monaten im Hungerstreik und fordern ein gerechtes Verfahren. Beide wurde aufgrund von widersprüchlichen Aussagen des Überläufers Berk Ercan zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt und sind im Gefängnis. Sultan Kaya ist die Tante von Ebru Timtik und versucht verzweifelt, die öffentliche Aufmerksamkeit auf den lebensbedrohlichen Zustand ihrer Nichte zu lenken. Mit ihren zwei Geschwistern geht sie in Istanbul ständig dafür auf die Straße und wird jedes Mal festgenommen. Gegenüber ANF hat sie sich zum Zustand ihrer seit 157 Tagen hungernden Nichte geäußert.

„Ich wache jeden Morgen in der Angst auf, dass eine schreckliche Nachricht kommt“, fasst Sultan Kaya ihre Besorgnis zusammen. Sie betont, dass die Zeit drängt. Ebru Timtik wiegt nur noch 42 Kilo und hat blaue Flecke an Armen und Beinen. „Das ist ein schlechtes Zeichen“, meint Kaya. Auch ihre Nichte Barkin, die Schwester von Ebru, ist im Gefängnis im Hungerstreik. Zuletzt hat Sultan Kaya mit Barkin am Telefon gesprochen. Besuche im Gefängnis sind aufgrund der Corona-Pandemie nicht möglich.

Sultan Kaya erzählt, dass ihre Nichten bei ihr aufgewachsen sind: „Ebru ist die älteste von vier Geschwistern. Ihr Vater ist in jungen Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Damals war Ebru sieben Jahre alt. Meine Schwester war mit vier kleinen Kindern zur Witwe geworden. Wir haben die Kinder gemeinsam großgezogen.“

Ihren Nichten und deren Freundinnen und Freunden sei großes Unrecht widerfahren, betont Kaya. Die Aussagen des Überläufers Berk Ercan haben zur Verhaftung von knapp 200 Menschen geführt. Unter ihnen war auch Mustafa Koçak, der zu lebenslanger Haft verurteilt worden war und am 24. April nach 297 Tagen Hungerstreik verstarb. Sie alle wurden im Komplex der Verfahren gegen vermeintliche Angehörige der DHKP-C nach Terrorparagraphen verurteilt.

Sultan Kaya fordert, dass das Kassationsgericht die Urteile aufhebt und alle Betroffenen ein faires Verfahren bekommen: „Ich habe jede Nacht Albträume. In meinen Träumen taucht meine vor vier Jahr verstorbene Schwester auf und fleht mich an, ihre Kinder zu retten. Meine betagte Mutter weint jede Nacht um ihre Enkelkinder. Was haben sie denn getan, dass sie zu so hohen Strafen verurteilt wurden? Die eine hat 13 Jahre bekommen, die andere 18 Jahre. Wenn sie es gewollt hätten, hätten sie eine eigene Kanzlei eröffnet und sich ein schönes Leben gemacht. Sie haben es jedoch vorgezogen, die Stimme der Unterdrückten und ungerecht Behandelten zu werden. Ich bin stolz auf sie und stehe hinter ihren Forderungen. Jeder sollte diesen Schrei nach Gerechtigkeit hören, bevor es zu spät ist.“