Thüringen: Keine Abschiebung von ezidischen Frauen und Kindern

Nach Nordrhein-Westfalen setzt nun auch Thüringen alle Abschiebungen von ezidischen Frauen und Minderjährigen in den Irak aus. Die Regelung gilt zunächst bis April.

Thüringen setzt alle Abschiebungen von ezidischen Frauen und Minderjährigen in den Irak aus. Die Regelung gelte zunächst bis April dieses Jahres, teilte das Büro der Thüringer Migrationsbeauftragten Mirjam Kruppa am Donnerstag in Erfurt mit. Viele Ezidinnen und Eziden in Deutschland lebten insbesondere seit dem Migrationsabkommen des Bundes mit dem Irak in der täglichen Angst, abgeschoben zu werden.

Der Bundestag hatte zwar Anfang 2023 einstimmig die systematische Verfolgung und Ermordung von Ezidinnen und Eziden in ihrem Hauptsiedlungsgebiet Şengal (dt. Sindschar) durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) als Genozid anerkannt. Dennoch werde der Asylantrag vieler ezidischer Geflüchteter negativ beschieden, weil die individuelle Verfolgungssituation als nicht ausreichend gewertet werde, sagte Kruppa.

Seit dem massenhaften Morden und der Vertreibung ezidischer Familien seien nur knapp zehn Jahre vergangen. Auch wenn der IS zurückgedrängt worden sei, zeige sich die Lage in den ursprünglichen ezidischen Siedlungsgebieten nach wie vor als prekär: „Ganze Dörfer und die Infrastruktur wurden zerstört.“ Kruppa forderte die Bundesregierung auf, den ezidischen Geflüchteten aus dem Irak einen sicheren Aufenthaltsstatus zu gewähren. „Der Völkermord hat tiefe Wunden gerissen, die noch nicht verheilt sind. Ein Leben am Ort der Gewalt und in unmittelbarer Nachbarschaft der Täter ist für viele Ezidinen und Eziden nicht vorstellbar“, so Kruppa.

Im August 2014 überfiel die Terrororganisation „Islamischer Staat“ den Şengal und verübte einen Völkermord. Zehntausenden Ezidinnen und Eziden, die von den Peschmerga-Einheiten der in Hewlêr (Erbil) herrschenden Barzanî-Partei PDK entwaffnet und schutzlos zurückgelassen wurden, blieb nur die Flucht ins Gebirge. Doch nicht allen gelang sie rechtzeitig.

Der IS verübte Massenmorde an Männern und entführte Frauen und Kinder, um sie zu vergewaltigen, zu versklaven oder zu Kindersoldaten zu rekrutieren. Jüngeren Schätzungen nach fielen etwa 10.000 Menschen den Massakern in Şengal zum Opfer, mehr als 400.000 Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Über 7.000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, bis heute fehlt von etwa 2.700 von ihnen jede Spur. Daher stellt dieser Genozid in seiner Form zugleich auch einen Femizid dar.

Der Bundestag hatte im Januar einen einstimmigen Beschluss gefasst, der den Genozid an den Ezidinnen und Eziden und die schweren Verbrechen des IS anerkennt. Bislang hat das Bundesinnenministerium daraus aber keinen besonderen Schutzstatus für diese Gruppe abgeleitet. Nach Recherchen des ARD-Magazins Monitor wurden in den vergangenen Monaten sogar wieder vermehrt ezidische Schutzsuchende abgeschoben. Neben Thüringen hatte auch die Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen einen befristeten Abschiebestopp für Frauen und Kinder ezidischer Herkunft angeordnet.