„Swiss Global Enterprise angegriffen - Kein Deal mit der Türkei!“

In der vergangenen Nacht ist nach Angaben der Gruppe „No deal with fascism“ die Eingangstür der Swiss Global Enterprise in Zürich zertrümmert worden.

Die Türkei führt Krieg und die Schweiz macht damit Geschäfte. In der vergangenen Nacht ist nach Angaben der Gruppe „No deal with fascism“ die Eingangstür der Swiss Global Enterprise in Zürich zertrümmert worden. In dem ANF vorliegenden Bekennerschreiben weist die Gruppe auf das geplante Freihandelsabkommen mit der Türkei hin und solidarisiert sich mit dem kurdischen Befreiungskampf.

Wir dokumentieren die Erklärung im Wortlaut:

Mit pyrotechnischer Wucht haben wir gestern Nacht die Eingangstür der SwissGlobalEnterprise in Zürich (SGE) zertrümmert. Die SGE ist eine Organisation des Schweizer Kapitals, die vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) mit dem Ziel gegründet wurde, schweizerische
Investitionen in der Welt zu befördern. Investitionen zum Beispiel in Länder wie die Türkei, für welche die SGE in diesem Monat eine spezielle Länderberatung im Angebot hat, für Schweizer Firmen, die in der Türkei Fuss fassen wollen.

Während die SGE das Schweizer Kapital über die Möglichkeiten von Investitionen in der faschistischen Türkei berät, arbeitet das SECO fleissig daran, diese Möglichkeiten weiter zu verbessern: In nächster Zeit will SVP-BR Guy Parmelin (Wirtschaftsminister) das erneuerte
Freihandelsabkommen mit der Türkei abschliessen - ein Ausdruck der Unterstützung des faschistischen Regimes in Ankara. Wir sagen: Nieder mit Faschismus und Kapital!

Die Schweiz verhandelt seit einigen Jahren als Mitglied der EFTA-Staaten (Schweiz, Liechtenstein, Island, Norwegen) ein erneuertes Freihandelsabkommen mit der Türkei. Das bisherige Freihandelsabkommen wurde bereits 1992 eingesetzt und regelt den freien Handel von Gütern.

Davon profitiert aktuell insbesondere die Textilindustrie in der Schweiz, die in der Türkei zu miesen Arbeitsbedingungen günstig produzieren lässt, um dann mit fettem Extraprofit die T-Shirts usw. hier zu verkaufen. Rund 35 Prozent aller Importe aus der Türkei in die Schweiz fallen in diesem Sektor an.

Das erneuerte Freihandelsabkommen soll neu zudem auch Dienstleistungen umfassen. Das hiesse (ähnlich wie bei den TiSA-Verhandlungen), dass Firmen aus beiden Ländern im jeweils anderen Land ohne Hürden Services wie bspw. Kundenbetreuung, Tourismus oder Krankenpflege anbieten könnten. Vermutlich profitierte von dieser Liberalisierung künftig eher das Schweizer Kapital, denn dasjenige aus der Türkei, welches so noch günstigere Bedingungen für den Kapitalexport von hier nach dort vorfinden würde. Darin dürfte insbesondere der Tourismussektor eine grosse Rolle spielen, der für die türkische Wirtschaft zentral ist und in dem viele Menschen arbeiten.

In erster Linie heissen Freihandelsabkommen ganz allgemein verbesserte Bedingungen für die Bourgeoisie, um in jeweils anderen Ländern Arbeitskräfte auszubeuten. Aus ihrer Sicht sind die Interessen der Arbeitenden nicht bloss zweitrangig oder nebensächlich, sondern Hürden in
ihrer Profitmaximierung. Kein Freihandelsabkommen dieser Welt entspricht den Bedürfnissen der Menschen, sie dienen und sind geprägt von wirtschaftlichen Interessen. Sie sind Klassenkampf von oben gegen unten.

In zweiter Linie heisst ein Freihandelsabkommen mit der Türkei Unterstützung eines faschistischen Regimes, auf unterschiedlichen Ebenen. Es stützt das Regime wirtschaftlich - die türkische Wirtschaft befindet sich in einer langanhaltenden Krise, Investitionen aus dem Ausland sind für das AKP-MHP-Regime überlebenswichtig. Es stützt das Regime symbolisch im Inland und Ausland - während andere internationalen Machtblöcke (wie die USA oder die EU) aus ganz eigenen Interessen Sanktionen gegen die Türkei in Erwägung ziehen, geht die Schweiz voran und schmiedet neue Deals mit dem Diktator.

Insbesondere der zweite Punkt ist nicht zu vernachlässigen. Die Türkei führt Krieg. Im Inland gegen die kurdische Bevölkerung und gegen die fortschrittliche Bewegung, egal ob gewerkschaftlicher, anarchistischer, feministischer, sozialistischer oder kommunistischer Natur.

Im Nordirak führt die Türkei (mit Unterstützung des Barzani-Clans) Krieg gegen die PKK und ihre Verbündeten, in den Medya-Verteidigungsgebieten (darunter das Kandilgebirge) und im Shengal. In Nordostsyrien, Rojava, greift die Türkei unablässig an und besetzt nun seit Jahren Gebiete entlang der türkisch-syrischen Grenze. In Libyen sind syrische Söldner und türkische Drohnen präsent, um die Interessen der Türkei zu verteidigen. Im Krieg Aserbaidschans gegen Armenien war die Unterstützung aus Ankara - hundert Jahre nach dem Genozid an den ArmenierInnen - wiederum mittels türkischen Drohnen gesichert. Rund um Zypern und Griechenland spielt die Türkei permanent mit dem Feuer einer kriegerischen Eskalation.

Die Türkei führt Krieg - und die Schweiz macht Geschäfte. Es ist pures Kalkül und Heuchelei, wenn Parmelin im Oktober 2019 den Ratifizierungsprozess dieses Abkommens zwischenzeitlich „auf Eis legte", weil zu diesem Zeitpunkt die Türkei einen erneuten Angriffskrieg gegen Rojava lanciert hatte und eine Ratifizierung des Abkommens gerade nicht opportun erschien. Die Economiesuisse richtete sich bereits da an die Mitglieder der Aussenparlamentarischen Kommission des Parlaments, machte Druck für das Abkommen und erinnerte sie daran, dass „oberstes Ziel optimale Rahmenbedingungen für die Schweizer Exportwirtschaft im Vergleich zur internationalen Konkurrenz sind." Wer glaubt ihnen also ernsthaft, dass Krieg je den Interessen der hiesigen Wirtschaft in die Quere kommen würde? Zynisch heisst es heute aus Bern, das neue Abkommen sei ein Fortschritt, weil es „die Menschenrechtslage thematisiere". Was nützt diese „Thematisierung" all jenen, die unter türkischer Besatzung oder für türkische Interessen gefoltert, vergewaltigt, versklavt, ermordet werden? Wer glaubt ernsthaft, dass diese Diplomatiefloskeln wirklich eine Bedeutung hätten?

Wir nicht. Und darum haben wir und werden wir weiterhin jene Institutionen angreifen, welche bei der Ausarbeitung des neuen Freihandelsabkommens und der Exportförderung in die Türkei federführend sind. Wir solidarisieren uns mit allen Kräften, die sich international gegen den türkischen Faschismus positionieren und in Stellung bringen. Wir solidarisieren uns mit all jenen, die den Besatzungsmächten widerstehen - von Bakur über Rojava nach Bashur. Durchkreuzen wir die Interessen und Propaganda der Mächtigen, greifen wir ihre Verbrechen auf und an, lasst uns klarmachen, dass wir Schulter an Schulter gegen Faschismus und Kapital kämpfen! Fight for Rojava!