Stellungnahme der JXK zu den Ereignissen in Straßburg

Der Verband studierender Frauen aus Kurdistan (JXK) hat in einer schriftlichen Erklärung zu den Angriffen der Polizei am vergangenen Dienstag auf Proteste in Straßburg für die Freiheit Abdullah Öcalans Stellung bezogen.

Am vergangenen Dienstag ist eine Protestaktion unter dem Motto „Öcalans Freiheit ist unsere Freiheit“ vor dem Europarat in Straßburg von der Polizei verboten worden. Am Donnerstag wurde die mehrtägig geplante Protestreihe komplett verboten. Die Studierenden Frauen aus Kurdistan (JXK) hat in einer ausführlichen Erklärung dazu Stellung bezogen:

„Vergangene Woche fanden in Straßburg zentrale Protestmärsche und Aktionen für die Freiheit von Abdullah Öcalan statt. Über tausend Menschen versammelten sich auf den Straßen Straßburgs und nahmen lautstark an den Protesten teil. Teilnehmende reisten aus Deutschland, Frankreich, Belgien, Holland und der Schweiz an, um die Freiheit Abdullah Öcalans zu fordern.

Unter dem Motto ‚Öcalans Freiheit ist unsere Freiheit' begann am Dienstagmittag eine Kundgebung vor dem Europarat in Straßburg. Parallel zur Kundgebung führten kurdische Jugendliche eine Aktion des zivilen Ungehorsams im Europaparlament durch. Von Beginn an hatte die Polizei die Absicht, den Protesten mit starker Repression entgegen zu gehen und so nahm sie die Aktion des zivilen Ungehorsams als Vorwand einzugreifen. Die Polizei feuerte zudem Gasgranaten auf die Menschenmenge ab, wodurch viele Personen verletzt wurden und ärztlich behandelt werden mussten. Die Tatsache, dass viele Kinder und ältere Menschen vor Ort waren, hielt die Polizei nicht von ihrem gewaltsamen Vorgehen ab.

Die Ereignisse der letzten Tage in Straßburg zeigen klar auf, dass der Komplott der kapitalistischen Staaten gegen Abdullah Öcalan fortgeführt wird. Die Behörden führen einen intensivierten Kampf gegen das Abbild von Öcalan und setzen Sympathisierende einer unvergleichbaren Kriminalisierung aus. Die Kriminalisierung der Kurd*innen in Europa hat einen langjährigen und politisch tief verwurzelten Hintergrund. Ihren Höhepunkt erreichte die politische Verfolgung der Kurd*innen in Europa im Jahre 1999 nach der Verhaftung Abdullah Öcalans. Doch bisher verhielten sich französische Behörden im internationalen Vergleich recht unauffällig gegenüber kurdischen Demonstrierenden.

Auffällig ist daher, dass besonders nach dem Vierer-Gipfeltreffen zwischen Deutschland, Frankreich, Russland und der Türkei, der dem ‚Friedensprozess in Syrien' dienen sollte, die Angriffe auf Rojava ersichtlich verstärkt zunahmen und in Straßburg eine brutale Jagd auf Demonstrierende vorgenommen wurde. Daraus lässt sich in direktem Umkehrschluss erklären, dass ein politischer Konsens der Staaten dabei herrscht, die kurdische Autonomie sowie alle Errungenschaften der Revolution in Rojava zu zerschlagen und türkische Interessen und Verhältnisse in das eigene Rechtssystem einzugliedern. Das Treffen des Vierer-Gipfels zielte nie darauf ab, den Frieden in Syrien zu sichern, sondern sollte lediglich dazu dienen, über staatliche Interessen in Rojava zu verhandeln.

Trotz sonstigem politischen Dissens haben alle Staaten dieselben Interessen, wenn es um die Schwächung antikapitalistischer Strukturen geht und diese Schwächung versucht man seit Jahren durchzusetzen, allerdings vergeblich. Dabei stellt die kurdische Freiheitsbewegung eine große Gefahr für internationale Abkommen dar, weshalb die Freiheitsbestrebungen der Menschen in Kurdistan zum zentralen Angriffsobjekt deklamiert wurden.

Die Staaten sehen die kurdische Freiheitsbewegung und damit die Ideologie Abdullah Öcalans, welche wahrhaftige Demokratie realisiert, als Bedrohung ihrer auf Machtverhältnisse gestützten Existenz. Heute arbeiten sie daher wieder zusammen, indem sie eine Bewegung und ihre Sympathisierenden kriminalisieren, die sich als einzige Kräfte für den Frieden im Mittleren Osten und weltweit einsetzen. Ihre eigenen angeblichen demokratischen Werte bleiben dabei auf der Strecke liegen und das türkisch-faschistische Regime erntet die Unterstützung bei Kriegsverbrechen an den Kurd*innen und zudem auch bei gezielten Angriffen auf Stellungen kurdischer Verteidigungseinheiten. Die heuchlerische Appeasement-Politik Europas macht sich besonders auch bei der Unterstützung faschistischer Staaten erkennbar:

Dass die YPG, YPJ und SDF als einzige Kräfte einen effizienten Kampf gegen den IS führen und den IS weitgehend militärisch besiegt haben, versucht die europäische Politik zu vergessen und losgelöst von der Situation der kurdischen Freiheitsbewegung und Öcalan zu betrachten. Doch die Erfolge der kurdischen Freiheitsbewegung lassen sich nicht losgelöst von Öcalan verstehen.

Das Vorgehen der französischen Polizei vergangene Woche erreichte ein neues Niveau an systematischer Repression: Durch gezielte Provokationen schafften es die Behörden, ein Bild eines tobenden und aggressiven Mobs zu erzeugen. Damit bezweckten sie eine Legitimation für ein generelles Verbot und gewaltsames Vorgehen gegen Kurd*innen in Form von Prügelattacken, Gasgranaten, Verhaftungen und Pfefferspray-Einsätzen. Parallel dazu setzte das amerikanische Außenministerium in den vergangen Tagen ein Kopfgeld auf den Ko-Vorsitzenden des KCK-Exekutivrats Cemil Bayik sowie die beiden Mitglieder des PKK-Exekutivkomitees Duran Kalkan und Murat Karayilan aus.

All diese Arten von Kriminalisierung sollen Kurd*innen und Solidarisierende gefährlich erscheinen lassen und eine Entsolidarisierung und Marginalisierung herbeiführen. Einen intensivierten Kampf führten die Behörden jedoch besonders gegen die Person Abdullah Öcalans, die auf den Straßen Straßburgs zu Tausenden eine Stimme bekam. Erkennbar aggressiv ging die Polizei dabei gegen Jugendliche vor.

Bezweckt wird damit die Einschüchterung junger Menschen, die das autoritäre und hierarchische Wirken eines Rechtssystems in Europa in Frage stellen. Die tödlichen Menschenrechtsverletzungen, die sich seit Jahrzehnten in Kurdistan ereignen, die Isolationshaft von Abdullah Öcalan und die brutale Niederschlagung von friedlichen Demonstrierenden bleiben dabei scheinbar kein nennenswerter Bestandteil von angeblich demokratischem Recht und Gesetz.

Dieses systematische Vorgehen steht im Widerspruch mit demokratischen Werten und fußt im kapitalistischen Gedankengut. Besonders türkische Interessen spielen dabei eine entscheidende Rolle. Denn wenn in Europa Proteste der kurdischen Jugend vollständig verboten werden, wie zuletzt in Straßburg vor dem CPT-Gebäude, dann ist das als Einvernehmen zwischen der Türkei und Europa zu sehen. Die europäischen Staaten versuchen das Interesse der Türkei hierzulande durchzusetzen.

Dabei sei gesagt: Der Angriff auf den kurdischen Befreiungskampf und besonders auf Rojava ist auch ein Angriff auf uns als Frauen. Denn die Revolution von Rojava ist eine Frauenrevolution. Vor einigen Jahren noch konnten Frauen sich in Syrien kaum frei bewegen. Sie mussten ihre Stellung in der Gesellschaft als Schicksal hinnehmen und sich diesem unterordnen. Nie hätte eine Frau glauben können, dass sie die die Möglichkeit bekommen würde, sich in Organisationen selbst zu verwalten und für ihre Interessen einzustehen. Heute sind Frauen auf allen Ebenen gesellschaftlich sowie politisch im Norden Syriens in Rätestrukturen organisiert und können ihre Interessen vertreten. Diese Strukturen ermöglichen es, dass sich Menschen –egal welcher Nationalität und Religion zugehörig- unter einem Dach organisieren können. Das sind die ersten Schritte für einen wahrhaften Frieden im Mittleren Osten.

Durch Abdullah Öcalans Analyse der Gesellschaft wird ersichtlich, dass das Übel allen Unheils das Patriarchat und damit einhergehend der Staat ist. Aus dem Grund steht die Frauenbefreiung an erster Stelle in seiner Ideologie. Der Weg für eine echte Demokratie kann nur durch die Frauenbefreiung geebnet werden. Deshalb wird jegliche Form des Patriarchats in Rojava bekämpft. Der große Erfolg Rojavas ist auf den intensiven Kampf von Frauen zurückzuführen. Die kämpfenden Frauen sind in Rojava, so wie in der ganzen Welt, die Hoffnung der Revolution geworden. Die größte Angst der patriarchalen Staaten sind wahrhaft freie Frauen, die in der Vorreiterrolle einer befreiten Gesellschaft kämpfen können und sich nicht versklaven lassen.

Kobanê ist ein Symbol des Widerstands und auch des Internationalismus. Der Funke der Hoffnung, der dort erkämpft wurde, hat sich in der ganzen Welt verbreitet. Kaum vorstellbar, welche Kraft es den revolutionären Kräften in der ganzen Welt geben würde, wenn wir die physische Freiheit Öcalans erfolgreich erkämpfen. Denn der Mensch, der die Schlüsselfunktion und der größte Architekt der Revolution ist, der ist auch der Mensch der am meisten diese Revolution lebt und leben lässt.

Die totale Isolation Öcalans hat nichts mit demokratischen Werten zu tun. Genau so wenig kann es mit demokratischen Werten vereinbart werden, dass Jugendliche nicht für seine Freiheit demonstrieren dürfen. Dieses Vorgehen ist für einen demokratischen Staat ein Skandal und tritt alle ethischen Werte einer Demokratie mit Füßen. Es ist vollkommen klar, dass die Türkei ein faschistischer Staat ist und dennoch wird zugelassen, dass Kobanê von ihm angegriffen wird. Deswegen müssen auch die europäischen Staaten sowie die USA zur Rechenschaft gezogen werden, denn ihr Handeln der kurdischen Bewegung gegenüber ist faschistisch. Doch unser Wille zur Freiheit wird größer sein als die Unterdrückung durch den Faschismus, die Staaten und das Patriachat!

Der Komplott gegen Öcalan fand zwar 1999 seinen Anfang, doch auch mit der Inhaftierung Öcalans schafften es die beteiligten Staaten nicht, der kurdischen Freiheitsbewegung ihre Moral zu entziehen. Mit der Verhaftung und Isolation Öcalans beabsichtigten die internationalen Bündnisse eine Niederschlagung der kurdischen Freiheitsbewegung und ihrer Ideen. Doch Öcalans Ideen des demokratischen Konföderalismus, dessen Grundpfeiler die Basisdemokratie, die Frauenbefreiung, Geschlechterbefreiung und ein ausgeprägtes ökologisches Bewusstsein sind, besitzen heute internationalen Charakter und verbreiteten sich weltweit. Sie werden sich nicht durch staatliche Repression aufhalten lassen. Millionen Menschen brechen aus faschistischen, antidemokratischen und patriarchalen Zwängen aus und verteidigen die Werte einer geschlechterbefreiten, basisdemokratischen und pluralistischen Gesellschaft.

Die bis heute unklare Situation über den aktuellen Zustand Öcalans ist Bestandteil eines internationalen Komplotts. Daher fordern wir die sofortige Beendigung der Kriminalisierung von Kurd*innen und den Menschen, die sich mit ihnen solidarisieren. Stoppt die Angriffe auf Rojava! Freiheit für Abdullah Öcalan - Frieden in Kurdistan!

Wir werden weiterhin die Stimme aller Unterdrückten und Gefangenen in die Öffentlichkeit tragen und fordern Gerechtigkeit für die Opfer des türkischen Staatsterrors. Die Bündnisse der patriarchalen Staaten können uns als kämpfende Frauen nicht aufhalten. Wir werden uns noch stärker organisieren und für unsere Rechte kämpfen. Nie werden wir uns ergeben, nie werden wir uns schwächen lassen. Ein Angriff auf die kurdische Freiheitsbewegung ist insbesondere ein Angriff auf uns Frauen. Jin Jiyan Azadî!“