Staatsmedien als Propagandisten der Missbrauchsamnestie

Während die Abstimmung über die Missbrauchsamnestie der AKP-Regierung immer näher rückt, versuchen staatliche Medien durch frauen- und mädchenfeindliche Diskurse eine Legitimationsgrundlage zu schaffen.

Die AKP/MHP-Regierung nutzt den Fokus auf die Corona-Pandemie, um ihre umstrittensten Gesetzentwürfe durchzubringen. Nach der Vollzugsreform, die politische Gefangene ausschließt, soll nun der Missbrauch von Minderjährigen straffrei bleiben, wenn der Täter die Betroffene heiratet. Nach der Ankündigung der AKP, das Gesetz so schnell wie möglich einzubringen, begannen auch die Regierungsmedien mit einer frauen- und mädchenfeindlichen Propagandawelle. Verschiedenste Medien griffen das Framing des AKP-Abgeordneten Osman Nuri Gülaçar auf, der das Gesetz als „Gute Nachricht für die Opfer der Minderjährigenehe“ darstellte, da nun die meist viel älteren Ehemänner der oft nur zwölfjährigen Bräute straffrei bleiben.

Anadolu Ajansi propagiert Kinderehe

Die staatliche Nachrichtenagentur AA lanciert Meldungen, die ebenfalls diesen Diskurs unterstützen. So berichtete sie über eine Frau, die als 14-jähriges Mädchen verheiratet wurde und nun mit ihren drei Kindern auf ihren inhaftierten Ehemann wartet. Der Ton der Nachricht rief Kritik hervor, da er Missbrauch von Kindern und Kinderehe normalisiert.

Das Alter von 12 bis 17 Jahren ist „perfekt zum Kinderkriegen“

Im Fernsehsender Akit TV sprachen drei Männer zum Thema „Männer- und Frauenrollen in Beziehungen“. Einer von ihnen war Prof. Dr. Muttalip Kutluk Özgüven, der erklärte: „Im Alter von 12 bis 17 Jahren ist der Körper der Frau am besten für die Geburt geeignet, es handelt sich um einen ‚Superfrauenkörper‘. Sie können jeden Arzt dazu fragen.“ In diesem Kontext wird auch die Aufhebung der durch den Frauenkampf errungenen Istanbul-Konvention vorbereitet.

Sexistische, rassistische und homophobe Stimmungsmache

Zur medialen Stimmungsmache für das perfide Gesetz erklärt Ayşe Güney von der Journalistinnenplattform Mesopotamien: „Es handelt sich hier um absolut gehorsame Regierungsmedien. Mit pädophilen Professoren, die Kindesmissbrauch legitimieren, übergriffigen Universitätsdekanen, Schlagzeilenjournalisten und der homophoben Religionsbehörde Diyanet wird Stimmung gemacht und so das Land regiert.“

Gesellschaft wird durch die Medien gespalten

Güney weist darauf hin, dass die Sprache der türkischen Medien schon immer fragwürdig gewesen sei: „Aber zu keiner Zeit war sie so niveaulos. Eine Frau, die ihren Mann in Selbstverteidigung tötete, wird als ‚Ungeheuer‘ tituliert, während Männer, die Frauen ermorden, als ‚Männer, die ausrasten‘ verharmlost werden und die Verantwortung der Frau zugeschoben wird. Mit solchen Nachrichten werden die Frauen an den von Regierungsmitgliedern immer wieder geäußerten Satz ‚Gehorche deinem Mann und beruhige ihn‘, erinnert und ihnen wird klar gemacht, was passieren kann. Die Ehe von Minderjährigen mit alten Männern wird romantisiert und Vergewaltigung und Kindesmissbrauch werden legitimiert. Wenn insbesondere Frauen oder die Gesellschaft auch nur den kleinsten Widerspruch zeigen, wird ihnen durch die Medien angedroht, was ihnen passieren kann.“ Daher müssten die alternativen Medien gestärkt werden, so Güney.

Staatsmedien haben schmutzige Hände

Gülfem Karataş von der LGBTI*-Kommission der Journalistengewerkschaft TGS betont: „Die Sprache und die Art der Präsentation der Nachricht, machen die Ziele dahinter deutlich. Wenn Frauen und Kinder missachtet werden und die ‚Familie‘ heiliggesprochen wird, wenn Vergewaltigungen und andere Gewalt legitimiert werden, dann sind diese Medien auch verantwortlich für den Anstieg des Missbrauchs.“ Karataş weiter: „Die Journalistinnen und Journalisten stehen nicht außerhalb der Gesellschaft. Deshalb sehen wir bei ihnen die gleiche patriarchale Sprache, wie sie die Gesellschaft benutzt. Journalisten haben aber gleichzeitig eine öffentliche Verpflichtung. Wenn man sich dessen bewusst ist, muss man die Praxis ändern. Wir dürfen nicht vergessen, was und wem wir durch unsere Sprache einen Dienst erweisen.“

Sexualisierte Gewalt hat sich unter AKP-Herrschaft verdreifacht

Die Sprecherin des HDP-Frauenrats, Ayşe Acar Başaran, erläutert, dass die Türkei weltweit auf Platz drei der Länder mit den höchsten Zahlen sexualisierter Gewalt sei: „In den vergangenen zehn Jahren AKP-Regierung hat sich die Zahl der Fälle verdreifacht. 46 Prozent der erfassten Fälle sexualisierter Gewalt richteten sich gegen Kinder. Von 2002 bis heute wurden 440.000 Kinder von Minderjährigen geboren. Von ihnen waren 15.937 unter 15 Jahre alt.“