Sea-Watch 4 rettet 200 Menschen in 48 Stunden
Das NGO-Rettungsschiff „Sea-Watch 4“ konnte bei seinem ersten Einsatz mehr als 200 Menschen binnen 48 Stunden im Mittelmeer retten.
Das NGO-Rettungsschiff „Sea-Watch 4“ konnte bei seinem ersten Einsatz mehr als 200 Menschen binnen 48 Stunden im Mittelmeer retten.
Die „Sea-Watch 4“ stach als neues Rettungsschiff am 15. August 2020 vom spanischen Burriana aus in See. Innerhalb von 48 Stunden konnte das Schiff mehr als 200 Schiffbrüchige vor der libyschen Küste retten.
Die „Sea-Watch 4“ ist im Moment das einzige zivile Rettungsschiff im Mittelmeer, da alle anderen Rettungsschiffe unter fadenscheinigen Vorwänden von italienischen, maltesischen und deutschen Behörden festgesetzt wurden. Staatliche Rettungsoperationen finden nicht statt und Handelsschiffe müssen wochenlang auf See bleiben, wenn sie Schutzsuchende aufnehmen, da ihnen immer wieder das Anlanden verweigert wird. Diese europäische Blockade- und Abschottungspolitik ist tödlich: Vergangene Woche waren vor der libyschen Küste dutzende Menschen auf der Flucht ertrunken. Die Zahl der unregistriert Verstorbenen dürfte weitaus höher sein.
Die Sea-Watch 4 ist derzeit im zentralen Mittelmeer im Einsatz und ein gemeinsames Projekt von United4Rescue, Sea-Watch und Ärzte ohne Grenzen.
Bereits am 22. August nahm das Rettungsschiff etwa 45 Seemeilen vor der libyschen Küste sieben Menschen auf. Am 23. August wurde 30 Seemeilen vor Libyen ein überfülltes Rettungsboot mit 97 Insass*innen gesichtet. Das Boot war vollkommen seeuntauglich. Alle Menschen konnten von dem Boot geborgen und an Bord der Sea-Watch 4 von „Ärzte ohne Grenzen“ versorgt werden. Unter den Geretteten befinden sich Frauen, Kinder und unbegleitete Minderjährige.
Das Wetter verschlechterte sich, als am 24. August die „Sea-Watch 4“ über die NGO AlarmPhone über 100 Menschen in akuter Seenot etwa 50 Seemeilen vor der libyschen Küste informiert wurde. Trotz zwei Meter hoher Wellen wurden alle Personen sicher an Bord der Sea-Watch 4 gebracht. Die NGO Sea-Watch berichtet: „Viele von ihnen waren zum Zeitpunkt ihrer Rettung schwach und orientierungslos und zeigten Symptome starker Belastung durch Benzindämpfe. Auf Anweisung der Ärzt*innen von Ärzte ohne Grenzen wurden Notfallduschen bereitgestellt und Personen mit Kraftstoffverbrennungen, Dehydrierungserscheinungen, Unterkühlungen und Vergiftungserscheinungen durch Benzindämpfe versorgt.“
Sea-Watch: „EU lässt Menschen vor ihren Toren ertrinken“
Philipp Hahn, Einsatzleiter auf der Sea-Watch 4, erklärt: „Binnen weniger Stunden nach unserer Ankunft in der Such- und Rettungszone wurden wir bereits über den ersten Seenotfall informiert. Dass wir in weniger als 48 Stunden zwei weitere Boote aus Seenot retten konnten, zeigt erneut die Notwendigkeit ziviler Seenotrettung vor Ort. Doch unser Einsatz ist und bleibt ein Symbol für das Scheitern der Europäische Union, die ihrer Pflicht nicht nachkommt und Menschen vor ihren Toren ertrinken lässt. Wir sind froh, über 200 Menschen an Bord der Sea-Watch 4 in Sicherheit zu wissen, doch für die letzte Woche im Mittelmeer ertrunkenen Menschen kam jede Hilfe zu spät. Wenn europäische Staaten zivile Seenotrettungsschiffe nicht willkürlich festsetzen würden, wären diese Menschen womöglich noch am Leben. Die Europäische Union und ihre unmenschliche Abschottungspolitik trägt die alleinige Schuld an diesen Toten.”
Ärzte ohne Grenzen: „Verheerende Realität auf dem Mittelmeer“
Barbara Deck, medizinische Projektkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen an Bord der Sea-Watch 4, berichtet: „Die meisten der heute Morgen geretteten Personen waren schwach und desorientiert, rochen stark nach Benzin und zeigten Symptome einer Kraftstoffinhalation. Über 90 Personen benötigten Notduschen, da sie dem Benzin ausgesetzt waren, das den Motor antreibt, schädliche Dämpfe erzeugt und in Verbindung mit Salzwasser stark ätzend ist. Das Ärzt*innenteam von Ärzte ohne Grenzen überwacht weiterhin die Entwicklung von Verbrennungen, während zugleich über 30 Patienten betreut werden, die Symptome akuter Unterkühlung zeigten. Je länger Menschen ohne Zugang zu Nahrung, Wasser oder Schutz auf See bleiben, desto höher ist das Risiko erheblicher gesundheitlicher Komplikationen. Und das, ohne das Risiko eines Todes durch Ertrinken in Betracht zu ziehen. Wenn man als Medizinerin sieht, wie nach Sicherheit suchende Menschen auf See ihr Leben riskieren, ist das eine verheerende Realität.”
IOM: „Alleine vergangene Woche mindestens 45 Menschen im Mittelmeer ertrunken“
Sea-Watch kritisiert: „Während in den vergangenen Monaten Tausende versuchten, in seeuntauglichen Booten Libyen zu entfliehen, verweigerten Malta und Italien Menschen in Seenot die Rettung und schlossen ihre Häfen für NGO-Schiffe. Fast alle aktiven Seenotrettungsschiffe, so auch die Sea-Watch 3, werden aus politischem Kalkül wegen behaupteter Sicherheitsmängel in Italien festgesetzt oder mit nicht erfüllbaren Auflagen am Einsatz gehindert. Europas Abschottungs- und Blockadepolitik ist weiterhin tödlich: Vergangene Woche ertranken laut IOM (Internationale Organisation für Migration) mindestens 45 Menschen im zentralen Mittelmeer, darunter fünf Kinder. Die Organisation AlarmPhone berichtet von weiteren Todesfällen“.
Wie lange die 200 Geretteten jetzt auf See bleiben müssen und wo sie anlanden können, bleibt vollkommen unklar und hängt vom Gutdünken der EU-Staaten ab.
Titelfoto: Sea-Watch