Sea-Eye verklagt Italien wegen Festsetzung von „Alan Kurdi”

Die Regensburger Seenotrettungsorganisation Sea-Eye hat gegen die Festsetzung ihres Schiffes „Alan Kurdi“ in Italien Klage eingereicht. Der Verein argumentiert, dass das italienische Verkehrsministerium internationales Recht konterkariere.

Die deutsche Seenotrettungsorganisation Sea-Eye hat eine Klage gegen Italien wegen der Festsetzung des Schiffes Alan Kurdi bei einem Gericht in Sizilien eingereicht. „Der Festsetzungsbescheid der italienischen Verkehrsbehörde ist unserer Meinung nach rechtswidrig und schafft juristische Unsicherheiten, die weitere Einsätze der Alan Kurdi verunmöglichen sollen. Seenotrettung ist eine völkerrechtliche Verpflichtung”, sagte Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye.

Die italienische Küstenwache hatte die Alan Kurdi am 5. Mai nach der Rettung von 150 Menschen in Palermo festgesetzt. Argumentiert wurde mit „gravierenden Sicherheitsmängeln”. Nach sieben Wochen durfte das Schiff der Regensburger Organisation zur Wartung in den spanischen Hafen Burriana bei Valencia fahren. Mit ähnlichen Bescheiden setzten die italienischen Behörden später auch die Rettungsschiffe Sea-Watch 3 von Sea-Watch, die Ocean Viking von SOS Mediterranee und die Aita Mari von Salvamento Marítimo Humanitario fest. 

Die italienische Küstenwache kritisierte, dass auf den Schiffen der Hilfsorganisationen nicht genügend Sanitär- und Abwasseranlagen vorhanden seien und sie auch nicht über hinreichende Sicherheitszertifikate verfügten, um regelmäßig so viele Menschen zu retten und unter Einhaltung von Umweltvorschriften sicher in einen italienischen Hafen zu bringen. Die dem Bundesverkehrsministerium unterstellte deutsche Flaggenstaatsbehörde (BG Verkehr) hingegen bestritt dies aber im Falle der Alan Kurdi umgehend nach deren Festsetzung im Mai. Die BG Verkehr bestätigte wiederholt, dass das Schiff über die nötigen Sicherheitszertifikate verfüge und auch die einschlägigen umweltrechtlichen Standards einhalte. Soweit sich nach einer durch einen Seenotfall nötig gewordenen Rettung mehr Menschen an Bord aufhielten, als vorgesehen, griffen die ausdrücklich in die relevanten internationalen Regelwerke aufgenommenen Ausnahmen von Umwelt- und Sicherheitsbestimmungen zur Rettung von Leben auf See. Drei Missionen musste Sea-Eye seit der Festsetzung ihres Schiffes bereits absagen.

Klage gegen Verkehrsministerium und Hafenamt

„Es kann doch nicht sein, dass ein Konflikt konstruiert wird, in dem nun zivile Akteure mit staatlichen Akteuren darüber streiten müssen, wie viele Menschen überhaupt noch gerettet werden dürfen”, sagte Isler. Die Klage von Sea-Eye gegen Italien soll als Eilantrag an das regionale Verwaltungsgericht in Palermo überstellt werden. Sie richtet sich gegen das Verkehrsministerium in Rom und das Hafenamt Palermos.  

Seerechtsexpert*innen des Instituts für Seerecht und Seehandelsrecht der Universität Hamburg haben ein kurzes Rechtsgutachten erstellt, das auf die angeblichen Mängel eingeht, die im Rahmen der Festsetzung durch die italienische Küstenwache vorgetragen worden sind. Dieses Gutachten stützt die Rechtsauffassung der BG Verkehr.

„Zur Festsetzung der Alan Kurdi ist zu sagen, dass die von den italienischen Behörden nicht konkret benannten Regelungen zum Teil in dieser Form nicht einmal existieren, weshalb nur abstrakt zum Beispiel auf SOLAS [Seerechtsübereinkommen] verwiesen wird”, erklärte Seerechtsexperte Valentin Schatz. Das italienische Verkehrsministerium argumentiert wiederholt, dass es sich bei den Einsätzen der NGO's um geplante Rettungseinsätze handele und die Schiffe deshalb so ausgerüstet sein müssten, dass sie auch im Normalbetrieb sehr viele Menschen an Bord haben können. Dass Italien die geltenden Ausnahmen für Seenotrettung nicht anerkennt, ist rechtlich nicht haltbar.

„Selbst ein Schiff wie die Ocean Viking, das ganz erhebliche Kapazitäten hat und fraglos als professionelles Rettungsschiff eingesetzt werden kann, reicht den italienischen Behörden nicht aus, wenn es mehr Personen rettet als beispielsweise im Schiffsabwassersystem oder Garbage Management Plan des Schiffes vorgesehen. Dabei wird völlig ignoriert, dass, selbst wenn man der italienischen Auffassung im Grundsatz folgen würde, das Antreffen eines Seenotfalles mit mehr als der zugelassenen Menge an Personen eben doch ein ‚ungeplanter Vorfall‘ ist. Denkt man die italienische Argumentation zu Ende, dann müssten auch alle staatlichen Rettungsschiffe festgesetzt werden, weil es regelmäßig vorkommt, dass sie eine größere Zahl Menschen vor dem Ertrinken retten müssen, als sie im Normalbetrieb an Bord haben dürften”, so Schatz weiter.

Italienisches Verkehrsministerium konterkariert internationales Recht

Gemäß Art. 91 Abs. 1 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen gilt: „Jeder Staat legt die Bedingungen fest, zu denen er Schiffen seine Staatszugehörigkeit gewährt, sie in seinem Hoheitsgebiet in das Schiffregister einträgt und ihnen das Recht einräumt, seine Flagge zu führen.” Deutschland hat solche Bedingungen im Einklang mit den geltenden internationalen Konventionen zur Sicherheit auf See und zum Meeresumweltschutz für die Alan Kurdi festgelegt und nur diese vereinbarten Regelungen sind Grundlage für eine Hafenstaatkontrolle durch Italien. Daran will sich das italienische Verkehrsministerium aber offenbar nicht halten.

„Die Auslegung internationaler Regeln der eigenen politischen Agenda anzupassen, um so Druck auf die Flaggenstaaten auszuüben, ist einer durchsichtige, perfide Strategie und konterkariert internationales Recht”, sagt Isler. Tatsächlich forderte der ehemalige italienische Innenminister Matteo Salvini die anderen EU-Mitgliedsstaaten dazu auf, ihre nationalen Gesetze notfalls so abzuändern, dass sie genügen würden, um die Hilfsorganisationen von der Seenotrettung abzuhalten. Die Festsetzung von vier NGO-Schiffen und die Konstruktion eines fachlichen Dissens mit den Flaggenstaaten Deutschland, Spanien und Norwegen ist eine konsequente Fortsetzung dieser Lega-Politik.

„Wir haben Vertrauen in die italienische Justiz, die hier nun wieder Rechtssicherheit schaffen muss. Um sicher in den Einsatz zurückkehren zu können, haben wir deshalb ein Eilverfahren beantragt”, sagte Isler. Unterdessen berichten die Vereinten Nationen, dass in den vergangenen Tagen mindestens 29 Menschen im Mittelmeer ertrunken sind.