Schwedin wegen Völkermord an Ezid:innen angeklagt

In Schweden beginnt im Oktober der erste Völkermordprozess im Zusammenhang mit dem vom IS an der ezidischen Gemeinschaft begangenen Massaker. Die Angeklagte soll versklavte Ezidinnen und Kinder in Raqqa gequält haben.

Erster Prozess nach Völkerstrafrecht

In Schweden ist zum ersten Mal eine IS-Rückkehrerin wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwerer Kriegsverbrechen gegen ezidische Frauen und Kinder angeklagt worden. Die heute 52-jährige Schwedin Lina Laina Ishaq soll die Verbrechen von August 2014 bis Dezember 2016 in Raqqa begangen haben, der ehemaligen Hauptstadt des selbsternannten IS-Kalifats in Nordsyrien.

Wie Oberstaatsanwältin Reena Devgun am Donnerstag in Stockholm mitteilte, handelt es sich um die erste Anklage in Schweden wegen des Völkermords an der ezidischen Gemeinschaft. Der Angeklagten wird vorgeworfen, neun ezidische Frauen und Kinder in ihrer Wohnung in Raqqa festgehalten und schwerem Leid, Folter oder anderer unmenschlicher Behandlung ausgesetzt zu haben. Laut Anklageschrift war das Ziel, die ethnische Gruppe der Ezid:innen als solche vollständig oder teilweise zu vernichten.

Lina Laina Ishaq war zuvor in Schweden zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden, weil sie 2014 ihren damals zweijährigen Sohn in ein vom IS besetztes Gebiet in Syrien gebracht hatte. 2017 soll sie Raqqa verlassen haben und von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) festgenommen worden sein. Von dort aus floh sie in die Türkei und wurde schließlich nach Schweden ausgeliefert, so die offiziellen Angaben.

Der Prozess soll am 7. Oktober beginnen und etwa zwei Monate dauern, teilweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Am 3. August 2014 überfiel der IS die Şengal-Region im Irak mit dem Ziel, eine der ältesten Religionsgemeinschaften auszulöschen: Die Ezidinnen und Eziden. Durch systematische Massakrierung, Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen und der Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten erlebte die ezidische Gemeinschaft den 74. Völkermord in ihrer Geschichte. Etwa 10.000 Menschen fielen jüngeren Schätzungen nach Massakern zum Opfer, mehr als 400.000 weitere wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Über 7.000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, bis heute werden 2.500 von ihnen vermisst. Daher stellt dieser Genozid in seiner Form zugleich auch einen Femizid dar.


Erster Völkermordprozess gegen IS-Mitglied in Deutschland

Der IS hat 2014 einen Genozid und Femizid an der ezidischen Gemeinschaft in Şengal begangen, das Massaker wurde vom deutschen Bundestag im Januar 2023 als Völkermord anerkannt. In der verabschiedeten Resolution forderte der Bundestag die Bundesregierung auf, die bestehenden internationalen und nationalen Strukturen zur politischen und juristischen Aufarbeitung des Völkermordes zu fördern und die juristische Verfolgung von IS-Täter:innen in Deutschland konsequent durchzuführen und auszubauen.

Der weltweit erste Völkermordprozess gegen ein IS-Mitglied fand 2021 vor dem OLG Frankfurt statt und endete mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Der Iraker Taha Al-Jumailly hatte ein fünfjähriges ezidisches Mädchen und dessen Mutter als Sklavinnen gekauft und so schwer misshandelt, dass das Kind bei einer Strafaktion in der Sonne angekettet verdurstete. Seine Mittäterin Jennifer W. wurde 2023 im Revisionsverfahren zu 14 Jahren Haft verurteilt.

Der Fall Taha Al-Jumailly war aus drei Gründen bedeutsam. Zum einen handelte es sich um das weltweit erste Verfahren zum Völkermord an der ezidischen Gemeinschaft. Durch das Frankfurter Urteil erkannte die deutsche Justiz die IS-Verbrechen generell als Genozid an. Zum anderen fand der Prozess auf Grundlage des Weltrechtsprinzips statt. Weder Opfer noch der Verurteilte besitzen bzw. besaßen die deutsche Staatsbürgerschaft und auch die Taten wurden nicht in Deutschland begangen. Anders als in anderen IS-Verfahren hielt sich Al-Jumailly auch nicht im Bundesgebiet auf, sondern wurde in Griechenland verhaftet und dann nach Deutschland ausgeliefert. Auf Grundlage des Frankfurter Urteils gegen Al-Jumailly erkannte beispielsweise auch Großbritannien den IS-Überfall auf Şengal als Genozid an.

Die Mutter des Kindes überlebte und nahm als Nebenklägerin an beiden Verfahren teil. „Die Verfahren werden auch ermöglicht, weil mutige Frauen bereit sind, über die schlimmsten Verbrechen, die ihnen angetan wurden, offen zu berichten und damit enorme Gefahren einzugehen“, heißt es im Beschluss des Bundestags von 2023.

Auch im Prozess gegen die IS-Rückkehrerin Jalda A., die 2022 in Hamburg wegen Beihilfe zum Völkermord zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, schilderte eine Ezidin ihre erlittene Tortur. Im Juni 2023 wurde Nadine K. in Koblenz wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Beihilfe zum Völkermord im Zusammenhang mit der Versklavung einer Ezidin zu neun Jahren und drei Monaten Haftstrafe verurteilt. Die wiederholt vergewaltigte Ezidin lebt inzwischen wieder bei ihrer Familie in Şengal. Bei dem Prozess vor dem Staatsschutzsenat des OLG Koblenz trat sie als Nebenklägerin und Schlüsselzeugin auf.

Foto: IS-Frauen in Camp Hol, Nordostsyrien, Februar 2024 (c) ANHA