Großbritannien erkennt Völkermord an der ezidischen Gemeinschaft an

Großbritannien hat die Verbrechen der Terrororganisation „Islamischer Staat“ an den Ezidinnen und Eziden als Völkermord anerkannt. Dem vorausgegangen ist ein Urteil der deutschen Justiz gegen einen Dschihadisten auf Grundlage des Weltrechtsprinzips.

Wenige Tage vor dem neunten Jahrestag des Überfalls auf Şengal hat Großbritannien die Verbrechen der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) an den Ezidinnen und Eziden als Völkermord anerkannt. Das teilte der britische Staatsminister für den Nahen Osten, Tariq Ahmad, am Dienstag in London mit. Der Entscheidung vorausgegangen sei ein Urteil der deutschen Justiz gegen einen IS-Dschihadisten, sagte Ahmad.

Der Iraker Taha Al-Jumailly war im November 2021 vom Staatsschutzsenat Frankfurt unter anderem wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch schwere Misshandlung zweier Ezidinnen schuldig gesprochen worden. Im Januar dieses Jahres hatte der Bundesgerichtshof (BGH) die gegen ihn verhängte lebenslange Haftstrafe bestätigt. Dem IS-Söldner sei zu Recht vorgeworfen worden, dass dieser die religiöse Gruppe der Ezidinnen und Eziden zerstören wollte und ein als Sklavin gehaltenes fünfjähriges Mädchen so misshandelte, dass es starb, entschieden die Karlsruher Richter.

Der Fall Taha Al-Jumailly war aus zwei Gründen bedeutsam. Zum einen handelte es sich um das weltweit erste Verfahren zum Völkermord an der ezidischen Gemeinschaft. Durch das Frankfurter Urteil erkannte die deutsche Justiz die IS-Verbrechen generell als Genozid an. Zum anderen fand der Prozess auf Grundlage des Weltrechtsprinzips statt. Weder Opfer noch der Verurteilte besitzen bzw. besaßen die deutsche Staatsbürgerschaft und auch die Taten wurden nicht in Deutschland begangen. Anders als in anderen IS-Verfahren hielt sich Al-Jumailly auch nicht im Bundesgebiet auf, sondern wurde in Griechenland verhaftet und dann nach Deutschland ausgeliefert. | Video: Aufnahmen aus Şengal vom 3. August 2014


„Das ezidische Volk hat vor neun Jahren großes Leid durch die Gräueltaten des IS erfahren. Die Auswirkungen sind bis heute zu spüren“, sagte Ahmad. Jetzt habe Großbritannien das „historische Eingeständnis“ gemacht, dass an den Angehörigen der ezidischen Glaubensgemeinschaft ein Genozid begangen wurde. „Diese Feststellung bestärkt uns in unserem Engagement, dafür zu sorgen, dass die Ezidinnen und Eziden die ihnen zustehende Entschädigungen erhalten und Zugang zu einer sinnvollen Rechtsprechung haben werden“, so Ahmad.

Schon im April 2016 hatte das britische Parlament die Regierung aufgefordert, die Verbrechen des IS an ezidischen, christlichen und schiitischen Gläubigen im Irak und in Syrien als Völkermord einzustufen. Die Abgeordneten hatten einstimmig eine Entschließung verabschiedet, die allerdings nicht bindend war – in der Folge kam die Regierung der Resolution nicht nach. Ahmad erklärte, Großbritannien vertrete „seit jeher“ den Standpunkt, dass die Feststellung von Völkermord von Gerichten getroffen werden müsse, und nicht von Regierungen. Das Vereinigte Königreich erkennt offiziell fünf Genozide an: den Holocaust und die Völkermorde in Ruanda, Srebrenica, Kambodscha und Şengal.

Der 74. Ferman an den Ezidinnen und Eziden

Am 3. August jährt sich der Beginn des Völkermords der Terrormiliz IS an der ezidischen Bevölkerung von Şengal zum neunten Mal. Die an jenem Tag im Jahr 2014 begonnenen Angriffe führten nicht nur zu einer humanitären Katastrophe, sondern hatten zum Ziel, die ezidische Religionsgemeinschaft auszulöschen. Durch systematische Massakrierung, Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen sowie der Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten erlebte die ezidische Gemeinschaft den von ihr als Ferman bezeichneten 74. Völkermord in ihrer Geschichte. Die Zahl der Todesopfer wird von verschiedenen Quellen auf 5000 bis 10000 beziffert, über 400.000 Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Mindestens 7.000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, von 2.500 der Entführten fehlt bis heute jede Spur. Daher stellt dieser Genozid in seiner Form zugleich auch einen Femizid dar.