Schüler*innen: Polizei hat uns mit Elektroschocks gefoltert

Die Körper der 14- bis 20-jährigen Schülerinnen und Schüler, die nach ihrer Festnahme vergangenen Freitag gestern früh aus dem Krankenhaus in Haydarpaşa entlassen wurden, weisen schwere Hämatome auf.

In verschiedenen Jugendverbänden organisierte Schüler*innen der Gymnasialstufe wollten vergangenen Freitag im Istanbuler Stadtteil Kadıköy unter dem Motto „Euch die Zeugnisse, uns die Zukunft“ eine Protestaktion gegen die Bildungspolitik der AKP-Regierung durchführen. Die Polizei ging unter exzessiver Gewaltanwendung gegen die Schüler*innen vor und nahm knapp 30 der 14- bis 20-Jährigen fest. Erst gestern Morgen wurden sie aus dem Krankenhaus Haysarpaşa entlassen und von ihren Familien, Vertreter*innen zivilgesellschaftlicher Organisationen und den CHP-Abgeordneten Sezgin Tanrıkulu, Mahmut Tanal und Barış Yarkadaş sowie den HDP-Kandidat*innen Ahmet Şık, Veli Saçılık und Ayşe Berktay empfangen, die eine Mahnwache vor dem Polizeirevier Iskele abgehalten hatten. Manche Jugendliche, die das Krankenhaus verließen, hatten schwere Hämatome an Gesicht und Körper, andere trugen Verbände an Kopf und Arm, wieder andere trugen zerrissene T-Shirts voller Blut. Sie riefen „Die Repression kann uns nicht schrecken“ und „Die Menschenwürde wird die Folter besiegen.“ Im ANF-Gespräch berichten sie von der Folter, die sie in der Haft erlebten.

Elektroschocks und Schläge

Zunächst sprechen wir mit dem 20-jährigen Çağdaş Onur Ekinci. Seine Lippe ist durch die Schläge aufgeplatzt und sein T-Shirt ist aufgrund einer Kopfverletzung voller Blut. Er berichtet uns von Elektroschocks durch die Polizei und erzählt von seiner Festnahme, nachdem sie am Tag der Zeugnisausgabe versucht hatten, eine Demonstration in Kadıköy durchzuführen. Er erzählt von den Spezialeinheiten, die sie zunächst geschlagen haben und dann im Polizeitransporter zu systematischer Folter übergegangen sind: „Im Fahrzeug wurden wir von der Bereitschaftspolizei und Motorrad-Polizisten geschlagen. Sie haben uns in zwei Gruppen aufgeteilt und begannen auf uns einzuknüppeln. Dann haben sie die Handschellen als Schlagringe benutzt, mir gegen den Kopf geschlagen und mir Elektroschocks gegeben.“ Ekinci berichtet, dass er zwei Jahre zuvor von Faschisten angeschossen wurde und die Polizisten ihm in das angeschossene Bein Elektroschocks gegeben haben. Er betont, dass sie sich nicht der Folter beugen werden und dass sie weiter die Stimme der Träume von Millionen von Gymnasiast*innen sein werden.

„Sie haben mir in die Hände und in die Beine Elektroschocks gegeben“

Ulaş Uslu, der ebenfalls mit Elektroschocks gefoltert wurde, berichtet ebenfalls von den brutalen Übergriffen der Polizei: „Während zwei Freund*innen verletzt wurden, indem man ihre Köpfe über den Boden geschleift hatte, haben sie uns Elektroschocks verpasst, um unsere Hände hinter dem Rücken zu fesseln.“ Uslu berichtet von Elektroschocks in Beine und Hände und fährt fort: „Wenn sie glauben, mit diesen Folterungen den revolutionären Kampf der Jugend zu brechen, dann täuschen sie sich. Sie werden keinen Erfolg haben. Wir werden den Kampf bis zur Befreiung fortsetzen.“

„Ich wurde geschlagen und nackt durchsucht“

Die 19-jährige Schülerin Meltem Çuhadar berichtet, sowohl von der Polizei geschlagen, als auch nackt durchsucht worden zu sein. Sie erzählt uns, dass sie am Zeugnistag vor der Süreyya-Oper gemeinsam mit anderen am Protest in Kadıköy teilnehmen und ein Theaterstück aufführen wollten, dann aber von der Polizei geschlagen und festgenommen wurden. „Sie haben uns über den Boden geschleift und mit den Knüppeln auf den Kopf geschlagen. Als wir in den Gefangentransporter gebracht wurden, haben sie uns auf den Boden geworfen und uns mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt.“ Çuhadar berichtet von Nacktdurchsuchungen auf dem Polizeirevier und erzählt weiter: „Sie haben uns wie Feinde behandelt. Sie haben uns sehr schwer beleidigt und erniedrigt. Ich war sehr verletzt.“

„Die Polizisten sprangen auf unsere Freunde“

Nach Angaben des 17-jährigen Gymnasiasten M.S. wurde die Demonstration noch vor Beginn von der Polizei angegriffen: „Sie haben uns geschlagen und festgenommen. Im Fahrzeug sind Polizisten einem unserer Freunde auf den Kopf gesprungen. Zwei unserer Freunde haben Elektroschocks bekommen; sie haben sie mit Handschellen und Knüppeln geschlagen. Die Motorradpolizei trug Motorradhandschuhe, einige unserer Freund*innen wurden mit diesen geschlagen. Es gab Leute mit Kopfverletzungen und einige, die sehr viel Blut verloren haben. Es war grauenhaft.“ M.S. war zum ersten Mal festgenommen worden und sagt, er habe in seinem Leben noch nie solche Gewalt gesehen.

„Es war so unmenschlich, dass ich dafür keine Worte finden kann“

Die 17-jährige Gymnasiastin R.K. berichtet, dass sie zwei Stunden mit auf dem Rücken gefesselten Händen sowohl psychische, als auch physische Folter erfahren hat. Ihr linker Arm ist übersäht mit schweren Hämatomen. „Sie haben all unsere Werte beleidigt. Sie haben uns andauernd gegen den Kopf getreten und uns mit Handschellen geschlagen. Einige Freund*innen wurden am Kopf verletzt, es floss viel Blut. Wir forderten einen Krankenwagen, aber sie weigerten sich. Es war so unmenschlich, dass ich dafür keine Worte finden kann.“

„Sie haben mich in ein Zimmer ohne Kamera gebracht und mich ausgezogen“

Der Fotograf Hakan Gültürk befand sich auch unter denjenigen, die von der Polizei geschlagen wurden. Sein rechtes Auge ist zugeschwollen, sein T-Shirt zerrissen und sein Körper voller Hämatome. Er wurde ebenfalls nackt durchsucht. Er berichtet, dass er festgenommen wurde, während er seine Freund*innen vom Gymnasium fotografierte: „Ohne irgendetwas zu fragen haben sie mich geschlagen, auf den Boden geworfen und mir Handschellen angelegt. Dann haben sie mich ins Auto gesetzt und mich erneut geschlagen. Auf der Wache haben sie mich in einen Raum ohne Videoüberwachung gebracht, mich nackt ausgezogen und durchsucht.“

Schläge und Festnahmen gegen Menschen, die gegen die Übergriffe protestierten

Atakan Polat wurde geschlagen, weil er gegen die Misshandlungen der Jugendlichen protestierte: „Die Bereitschaftspolizei hat insbesondere in den Gefangenentransportern sehr brutal angegriffen. Sie haben die Handschellen als Schlagringe benutzt und die Schüler*innen damit verprügelt. Zwei Jugendliche wurden so am Kopf verletzt. Es gab Leute mit geplatzten Augen, deren Kleidung getränkt in Blut war. Die Motorad-Polizei hatte Elektroschocker. Sie haben zwei Jugendlichen in den hinteren Reihen Elektroschocks verpasst.“

Familien: Wer glaubt ihr, wer ihr seid?

Die Familien, die auf ihre Kinder vor dem Polizeirevier und dann vor dem Krankenhaus stundenlang gewartet hatten, waren sowohl glücklich, als auch wütend. Sie freuten sich, dass sie ihre Kinder, wenn auch verletzt, zurückerhalten hatten. Die Eltern von Ulaş Tekiner empfingen ihren von den Schlägen hinkenden Sohn und umarmten ihn unter Tränen. Sein Vater Kenan Tekiner erwähnt, seinem Sohn noch nicht mal einen Klapps verpasst zu haben und fährt fort: „Wer glaubt ihr, wer ihr seid und unsere Kinder schlägt? Jeder, der auch nur einen Funken Gewissen in sich trägt, kann Kinder nicht schlagen, geschweige denn so behandeln… Sie haben niemanden umgebracht, nicht gestohlen, keine Drogen verkauft, sie haben nur ihre Rechte eingefordert.“